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Chinas neue Rolle in der Welt:

I. China im Wandel

Gudrun Wacker
China, die Welt und die Olympischen Spiele

Günter Schucher
Friedlicher Aufstieg? Die soziale und ökonomische Entwicklung Chinas

Ulrich Menzel
Paradigmenwechsel im Rückblick auf 50 Jahre China
Fotos aus dem Vortrag von Ulrich Menzel pdf >

II. Strategische Konkurrenzen im asiatisch-pazifischen Raum

Hans J. Gießmann
Confrontation or Cooperation: Asia-Pacific in Quest of Regional Identity

Bonnie Glaser
China’s new Role in the World: Power Rivalry or Greater Opportunities for Multilateralism?

Hans-Joachim Schmidt
Zur Rüstungsdynamik in der Region

Katja Freistein
Japan und China – alte Rivalen auf neuen Wegen?

Christian Wagner
Indien und China: Vom Konflikt zur Kooperation?

III. Der globalisierte Streit um Ressourcen, Energie und Einflusssphären

Chu Shulong
China and the US: A Level of Playing Field?

Doris Fischer
China’s Strategies for the African Continent

Bruno Schoch
„Strategische Partnerschaft“? Zur China-Politik der Europäischen Union

Wang Huaicheng
Kommentar zur “Strategischen Partnerschaft” zwischen Europa und China

Xinning Song
Multilateralism and Responsible Power: New Tendency of Chinese Foreign Policy

IV. Gibt es deutsche China-Strategien?

Einführung von Peter Christian Hauswedell
Statements von Heinrich Kreft, Martin Posth, Urs Schöttli, Gudrun Wacker

Wertschätzung des Lebens oder Wertschöpfung? – Zum Konflikt zwischen Gesundheitsschutz und Wirtschaft

Abwägungen und Alternativkosten

Die Corona-Krise ist eine schwere Belastungsprobe für alle Menschen und auch Institutionen. Zur Kontrolle des Infektionsrisikos griff und greift weltweit ein überwiegend restriktives, staatliches Kontaktreduzierungsprogramm. Es galt und gilt Gesundheits- und Lebensrisiken zu vermindern. Hierzu wurden Versammlungs-, Veranstaltungs- und Geschäftsverbote sowie Abstands-, Hygiene- und Quarantänegebote verhängt.

Recht früh warnten einige Ökonomen vor hohen volkswirtschaftlichen Kosten durch die staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen. Dabei ging es nicht um die Kosten der Pandemie selbst, durch Krankheit und Tod sowie deren medizinische Begleitung, sondern um die entgangenen Einkommen und Gewinne durch die Schutzmaßnahmen. Denn auch diese beinhalteten erhebliche soziale Risiken (Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Existenz- und Zukunftssorgen, …). Problematisch hierbei war, dass die staatlichen Maßnahmen und nicht die Pandemie als ursächlich für die Rezession dargestellt wurden. Es entstand der Eindruck eines Gegeneinanders von Infektionsschutz oder wirtschaftlicher Entwicklung. [1]

Insbesondere in Notsituationen müssen Abwägungen getroffen werden. Die Schließung von Gaststätten zur Reduzierung von physischen Kontakten steht gegen das berechtigte Interesse des Betreibers, der Beschäftigten, der Lieferanten und auch der Kunden (sowie des Steuerstaats). Kontaktbeschränkungen stehen aber auch im Konflikt mit Freiheitsrechten (Selbstbestimmung, Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit, …). Hier die richtige Balance zu finden zählt zur „Kunst des Möglichen“ (Bismarck) und ist nie richtig oder falsch. Deshalb brauchen wir auch Meinungsfreiheit, Diskussion, freie Meinungsbildung, Wahlen, Gewaltenteilung und repräsentative Demokratie.

Diese Abwägung zwischen „Geld oder Leben“ wirft ein Dilemma auf, das nicht zu lösen ist. Einerseits lässt sich menschliches Leben nicht mit Geld aufwiegen (auch wenn Ökonomen dies versuchen (Der Spiegel (a), Forbes). Andererseits kann es kein absolutes Recht auf Schutz des Lebens geben (Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Tagesspiegel). „Die Dinge sind unterschiedlich, aber untrennbar.“ (Shiller)

Trotz der Unvergleichbarkeit von Leben, Freiheit und Geld gibt es gleichwohl viele Situationen in denen ex- oder implizit Entscheidungen zwischen Wirtschaftlichkeit, Freiheitsrechten, Gesundheitsgefährdungen bis hin zur Inkaufnahme von Todesfällen getroffen werden. Dies beginnt mit der Rauchmelderpflicht in Wohnungen, geht über die tolerierbare Zeit bis zum Eintreffen eines Rettungsarztes oder -hubschraubers und endet beim Nicht-Tempolimit, beim Rauchen oder dem Alkoholkonsum. In allen Fragen stehen sich Kosten (Rauchmelder, Dichte der Rettungshubschrauberstandorte), Einschränkungen der individuellen Freiheit (Rauchverbot, Tempolimit) und Gesundheitsvorsorge (Unfallprävention) gegenüber. Bezogen auf die Corona-Krise wurde oft so getan, als handele es sich um ein „wohlstrukturiertes Problem“, das nach wissenschaftlicher Abwägung eindeutig und richtig zu entscheiden sei. So ist das Leben aber nicht. Gesellschaft und auch Natur sind dynamisch, oft unvorhersehbar und uneindeutig. Entscheidungen unter Unsicherheit (also die meisten) sind daher immer im Bewusstsein dieser Unsicherheit zu treffen, zu kommunizieren und zu bewerten. Das Fehlverhalten nach einem Unfall festzustellen ist leichter, als den Unfall im Moment des Verhaltens zu erwarten.

Leben mit und in Unsicherheit ist zu lernen. Die Entscheidungen zwischen nicht hierarchisch angeordneten Rechten und Interessen sind und bleiben ein Konflikt. Sie sind in Demokratien sachlich gegeneinander abzuwägen, transparent zu kommunizieren und am Ende in Verantwortung zu entscheiden. (FIPH).

Nun zeigt sich im Vergleich zu anderen EU-Ländern, dass Versuche dem Wirtschaftlichen (oder den individuellen Freiheitsrechten) eine höhere Priorität vor dem Infektionsschutz zu geben, angesichts der Not der erkrankten Menschen nicht durchgehalten werden konnten (z.B. Niederlande, Großbritannien. In Schweden wird diese Politik zunehmend kritisch gesehen).

Auch versäumen die Forderungen nach höherer Priorität des Wirtschaftlichen in der Regel eine Alternativbetrachtung. Wäre der Wachstumseinbruch bei einer weniger strikten Einschränkung geringer ausgefallen?[2]

Einerseits ist dies schwer nachweisbar. Andererseits zeigen die Wachstumsprognosen für Länder, die (zunächst) ein nicht so restriktives Herunterfahren (engl. Shutdown) von Teilen des öffentlichen Lebens verordnet hatten, keinesfalls bessere Daten (NL, UK im Vergleich zu DE, FR z.B. gemäß der Prognosen von IWF oder EU-Kommission). In den USA wird zudem gerade deutlich, dass eine inkonsequente Politik der Seuchenbekämpfung und eine zu frühe Öffnung der Wirtschaft der wirtschaftlichen Erholung schadet. US-Analysten sehen sogar eine „neue umgekehrte Beziehung zwischen wirtschaftlicher Aktivität und Covid-Fällen (…) Die Lehre daraus ist, dass Verhaltensänderungen als Reaktion auf Covid-Trends die wirtschaftliche Erholung selbst dann behindern können, wenn die Staaten keine neuen Eindämmungsmaßnahmen einführen.“ (DB)[3].

Die Unterstellung, eine Nicht-Schließung von Theatern und Restaurants hätte dort keinen oder einen signifikant kleineren Einbruch bewirkt, ist angesichts z.B. des beobachtbaren freiwilligen Verzichts vieler Menschen auf den Besuch von Restaurants auch nach deren Wiederöffnung nicht plausibel. Zudem spricht einiges dafür, dass ein breit akzeptiertes, gemeinschaftliches Vorgehen bei den Schutzmaßnahmen die Phase der Verunsicherung verkürzt hat, im Vergleich zu einer bloß individuellen Entscheidung der Kontaktbeschränkung.[4] Umfragen zeigen eine hohe Akzeptanz gegenüber den staatlichen Anordnungen in Deutschland (ARD, ZDF).

Widersprüchlichkeiten gangbar machen

Die staatlichen Maßnahmen zielen auf den Infektionsschutz. Sie hatten in Niedersachsen (und Deutschland) aber immer auch die wirtschaftliche Stabilität im Auge. Innerhalb kurzer Zeit wurden Programme von Bund und Ländern von mehr als einer Billion EUR aufgelegt und umgesetzt. Dies dient neben der unmittelbaren Unterstützung krisenbetroffener Bevölkerungsgruppen, Unternehmen und Einrichtungen auch dem sehr wichtigen Ziel, die Zukunftserwartungen der Menschen positiv zu stabilisieren. Eine der kritischsten Nebenwirkungen von Krisen ist ihre Unübersehbarkeit. Dies schürt Unsicherheit. Und Unsicherheit ist Gift für die wirtschaftliche Erholung.

Wenn Konsumenten und Investoren glauben, dass die Verantwortlichen die Kontrolle verloren haben und die Zukunft in finstersten Farben malen, verfallen sie in Attentismus. Der Konsument verfällt in das sog. Angstsparen. Er hält sein Geld zusammen und kauft weniger.[5] Der Unternehmer investiert nicht mehr und wartet ab. Wenn aber Konsum und Investition schrumpfen, beschleunigt sich die Krise und mit ihr der Pessimismus. In dieser sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale steckten Politik und Wirtschaft in den 30er Jahren. Dies will keiner mehr erleben. Daher die heutige, sehr schnelle Anti-Krisen-Politik mit riesigen Sicherheitsschirmen.

„Shutdown“ als staatliche Maßnahme

„Beim shutdown“ handelt es sich um eine „Mischung aus staatlichen Vorgaben, Maßnahmen von Unternehmen zum Schutz der Gesundheit ihrer Beschäftigten und der Bevölkerung insgesamt sowie nicht zuletzt um individuelle Entscheidungen.“ (ifo (a), S. 3)

Es gibt vier Störungen in der wirtschaftlichen Wertschöpfung:

  • Staatliche Schließungen, die die Wertschöpfung verbieten;
  • Störungen der betrieblichen Arbeitsorganisation durch Krankheit oder Kinderbetreuung;
  • Gestörte Zulieferketten, die eine Produktion unmöglich macht, und
  • Gestörte Absatzmärkte, die eine Produktion unsinnig machen.

Nur die erste ist eindeutig Corona und staatlichem Handeln zuzuschreiben. Die zweite Störungsart ist teilweise Resultat staatlicher Maßnahmen (Kita-/Schulschließungen, Quarantänemaßnahmen).

Die anderen Störungen sind betrieblich veranlasst und nicht immer eindeutig Corona-verursacht. Hier spielt auch die allgemeine Konjunktur eine Rolle (VDI) sowie technische, organisatorische oder materielle Faktoren.

Hierauf hat auch Bundeskanzlerin Merkel hingewiesen: „Wir haben zum Beispiel nie durch Allgemeinverfügung verboten, dass Automobilfabriken arbeiten. Sie haben selber das Arbeiten eingestellt.“ (Merkel)

Auch der Sachverständigenrat wies darauf hin: „Derzeit ist die Wirtschaftsaktivität in Deutschland vielfach eingeschränkt. Nur in manchen Fällen ist dies auf behördlich verordnete Schließungen zurückzuführen, denn die behördlichen Verordnungen gelten für wenige Wirtschaftsbereiche mit intensivem Kundenkontakt, etwa für das Gastgewerbe oder weite Teile des Einzelhandels. Die betroffenen Bereiche machen knapp 7 Prozent der Bruttowertschöpfung und etwa 12 Prozent der Beschäftigung aus.“ (SVR)

Ähnliches wird später auch für die US-Wirtschaft beobachtet „Von der Regierung auferlegte Restriktionen sind für die Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit weit weniger wichtig als die freiwilligen Entscheidungen der Menschen.“ (DB)

Die rechtlichen Regelungen, z.B. Niedersachsen

Ganz im Gegenteil, der Gesetz- und Verordnungsgeber hat z.B. in Niedersachsen von Anfang an großen Wert auf eine wirtschaftsfreundliche Haltung gelegt.

  • Bis zum Höhepunkt der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung Mitte April war in Niedersachsen die Berufsausübung grundsätzlich und auch in Gruppen immer gestattet.
  • Das Abstandsgebot sollte hierbei möglichst eingehalten werden (NDS, § 3 2., § 10 (1)).
  • Für Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland (z.B. Erntehelfer) wurden Sondergenehmigungen erlassen (NDS, § 5 (5), § 10 (2)).
  • Selbst Dienstreisen ins Ausland waren ohne Quarantäne nach Rückkehr zulässig, wenn der Auslandsaufenthalt weniger als 48 Stunde dauerte (NDS, §5 (3)).
  • Der Frachtverkehr samt den damit verbundenen Tätigkeiten war immer möglich (NDS, § 5 (4) Ziff. 1).
  • Berufspendler waren frei (NDS, § 5 (4) Ziff. 2).
  • Zudem wurden Arbeitszeitregelungen liberalisiert, Beschaffungsverfahren vereinfacht usw.

Das Problem der deutschen Wirtschaft ist nicht die nationale shutdown-Politik, die die wirtschaftlichen Interessen der Volkswirtschaft sehr wohl berücksichtigte. Es sind vielmehr die Fragilität globaler Lieferketten und Absatzmärkte. Diese sind im globalen Wettbewerb auf Kosteneffizienz getrimmt worden. ‚Economies of scale‘ dominierten gegenüber risikodiversifizierten Zulieferstrukturen. Sicherheit spielte eine untergeordnete Rolle (wie in der Finanzkrise!).

Ungleiche Risikoverteilung

Das Coronavirus bedroht zwar grundsätzlich alle gleich, aber Krisenbetroffenheit und Krisenbewältigungsmöglichkeiten sind sehr unterschiedlich verteilt: räumlich (Staaten, Regionen), sektoral (Branchen), funktional (selb-/unselbständig erwerbstätig, qualifiziert) und persönlich (Familie, Risikogruppe, Vermögen).

Und da die Relevanz von Räumen, Sektoren, Funktionen und Individuen für die verschiedenen gesellschaftlichen Systeme (Wirtschaft, Sicherheit, Erziehung, Kultur, Gesundheit, …), vor allem aber die Mittel zur Durchsetzung sozialer Interessen nicht gleich verteilt sind, ist abzusehen, dass auch diese Krise die soziale Kluft in Wirtschaft und Gesellschaft weiter vergrößern wird. Das betrifft prekär Beschäftigte, Hartz IV-Empfänger usw. Dies betrifft in dieser Krise aber auch kleine gegen große Unternehmen, organisierte (Agrar, Bau, Industrie, Finanzen, Handel, …) gegen weniger organisierte Sektoren (Kulturschaffende, Start-ups, Frisöre, Restaurants, Pflegeberufe, Soloselbständige, …).

Dies liegt einerseits in der Natur einer Krise (Eigenkapital, Kreditzugang, Diversifikation ist in größeren Unternehmen eher gegeben als in kleineren). Andererseits wird dies sicherlich auch durch öffentliche Aufmerksamkeitsschwellen der bedrohten Marken und Beschäftigung mitverursacht (z.B. TUI vs Reisebüro). Zudem sind bestimmte Gruppen besser organisiert. Die klassische Industrie mit hoher Kapital- und Technologieintensität, hoher Wertschöpfung und hohen Qualifikationen ist auf der Unternehmens- und der Beschäftigtenseite besser organisiert und weiß diese öffentlich besser vorzutragen, als die kleineren Einheiten der sehr diversen Dienstleistungswirtschaft.

Dabei hat gerade die Corona-Krise aufschlussreiche Einblicke in notwendige, aber bislang als selbstverständlich unterstellte (Infra-)Strukturen eröffnet: Verfügbarkeit von Atemschutzmasken und Beatmungsgeräten, ÖPNV, kleine Zulieferer, Ver- und Entsorgung, gesellschaftliches Beisammensein (Fußball, Theater, Restaurants, Urlaub).

Es bleibt fraglich, ob sich die temporäre Dankbarkeit der Gesellschaft für die Beschäftigten, die während der Corona-Krise „den Laden am Laufen hielten“, dauerhaft auszahlt. KassiererIn, LKW-FahrerIn, MüllwerkerIn, Paketbote/in und natürlich Pflegekräfte. Fast alle sind nicht am oberen oder mittleren Ende der Gehaltsstrukturen angesiedelt. Zumeist sind diese Bereiche auch schlecht organisiert.

Auch räumlich gibt es sehr unterschiedliche Betroffenheiten. Bayern kann viel höhere Beträge zum Schutz seiner Bürger und Wirtschaft mobilisieren als z.B. Sachsen-Anhalt. Es zeigt sich eine Schwäche im Süden der EU ganz zu schweigen von Corona-Problemen im globalen Süden.

Ausblick

Für zukünftige, andere oder ähnliche Krisen ergibt sich statt eines „entweder oder“ („Wertschätzung oder Wertschöpfung“) der Anspruch eines „sowohl als auch“ („schätzen und schöpfen“).

Bezogen auf eine Pandemie heißt dies Infektionsschutz für Mensch und Bevölkerung zu leisten, Ungleichheiten in den Betroffenheiten in den Blick zu nehmen und zu reduzieren sowie die wirtschaftlichen Verluste und die Beschränkungen der individuellen und sozialen Freiheiten zu minimieren.

Was dies für z.B. die global ausgerichteten Wirtschaftsstrukturen der Volkswirtschaft(en) insgesamt sowie die Unternehmen im Einzelnen, den Finanzausgleich zwischen den Gebietskörperschaften, die öffentlichen Vorsorgeeinrichtungen und jeden Menschen für sich und seine soziale Gemeinde bedeutet, ist Gegenstand der laufenden und unbedingt fortzusetzenden Diskussionen der Konsequenzen aus Corona.

In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.

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Quellen

ARD-DeutschlandTREND, Juli 2020 (https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend-2271.pdf)

Bos, Björn and Drupp, Moritz A. and Meya, Jasper and Quaas, Martin, Moral Suasion and the Private Provision of Public Goods: Evidence from the COVID-19 Pandemic (June 11, 2020) (https://ssrn.com/abstract=3611579)

DB, Deutsche Bank, Covid-19: no silver bullet for recovery, 10. Juli 2020 (https://cib.db.com/insights-and-initiatives/flow/macro-and-markets/covid-19-no-silver-bullet-for-recovery.htm)

Der Spiegel (a), Was darf ein Leben kosten?, 04.04.2020, (https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/corona-und-die-wirtschaft-was-darf-ein-leben-kosten-a-29353c88-18f7-4677-9b6a-210aed574386)

Der Spiegel (b), Faktor Mensch – Auswirkungen der Corona-Lockerungen, 20.06.2020 (https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-lockerungen-war-der-lockdown-ueberfluessig-a-6579433c-79ee-4067-a8c9-79cf5f7a756c?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph)

Der Spiegel (c), Trumps Ungeduld bremst die Wirtschaft aus, 02.07.2020 (https://www.spiegel.de/wirtschaft/corona-welle-bremst-die-us-wirtschaft-alarm-in-texas-a-24f603d3-2f4e-45e4-962f-62f4974bbf33)

FIPH, Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, Corona – Antworten auf eine kulturelle Herausforderung, 19.06.2020 (https://fiph.de/veroeffentlichungen/buecher/Corona_FIPH.pdf?m=1592484286&)

Forbes; How Economists Calculate The Costs And Benefits of COVID-19 Lockdowns, 27.03.2020, (https://www.forbes.com/sites/theapothecary/2020/03/27/how-economists-calculate-the-costs-and-benefits-of-covid-19-lockdowns/#f26bc1c6f630)

HAZ, Hannoversche Allgemeine Zeitung, „So etwas hält keine Branche aus“, Volker Müller (UVN) und Volker Schmidt (NiedersachsenMetall), HAZ-Interview, 09.04.2020

Ifo (a), Die volkswirtschaftlichen Kosten des Corona-Shutdown für Deutschland: Eine Szenariorechnung, in ifo Schnelldienst Digital 73(4), 2020020, Vorabdruck vom 22.03.2020

Ifo (b), Volkswirtschaftliche Kosten des Corona-Shutdown: Annahmen zu den sechs berechneten Szenarien, März 2020, (https://www.ifo.de/sites/default/files/2020-03/text-fuest-ua-Anhang-Tabs.pdf)

Ifo/HZI; ifo Instituts (ifo) und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), Das gemeinsame Interesse von Gesundheit und Wirtschaft: Eine Szenarienrechnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie, ifo-Schnelldienst 6/2020, 13.05.2020 (https://www.ifo.de/DocDL/sd-2020-digital-06-ifo-helmholtz-wirtschaft-gesundheit-corona_1.pdf)

Leopoldina, Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden, Ad hoc-Stellungnahme, 13.04.2020

MH-CorSt, Mannheimer Coronastudie, Das Leben in Deutsch-land im Ausnahmezustand, Bericht zur Lage vom 20. März bis 09. Juli 2020, 10.07.2020, https://www.uni-mannheim.de/gip/corona-studie/

Merkel, Angela, Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zu den Maßnahmen der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus, 06.03.2020 (https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-zu-den-massnahmen-der-bundesregierung-im-zusammenhang-mit-dem-coronavirus-1739654)

NDS, Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17.04.2020

Quaas, Martin F.;Meya,  Jasper N.; Schenk, Hanna; Bos, Björn; Drupp, Moritz A.; Requate, Till; The Social Cost of Contacts: Theory and Evidence for the COVID-19 Pandemic in Germany, CESifo Working Papers 8347, Juni 2020 (https://www.cesifo.org/DocDL/cesifo1_wp8347.pdf)

Shiller, Robert; Now the world faces two pandemics – one medical, one financial, in: The Guardian vom 01.04.2020; (https://www.theguardian.com/business/2020/apr/01/now-the-world-faces-two-pandemics-one-medical-one-financial-coronavirus)

SVR, Eine Exit-Strategie für Deutschland, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.04.2020

Tagesspiegel, Schäuble will dem Schutz des Lebens nicht alles unterordnen, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Interview, 26.04.2020

VDI-Nachrichten, Maschinenbau leidet nicht nur unter Corona-Folgen, 09.03.2020

ZDF-Politbarometer, Große Mehrheit befürwortet Maskenpflicht, 10.07.2020, (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-mehrheit-fuer-maskenpflicht-100.html)

[1] Das ifo-Institut (ifo (a, b)) stellte bereits Mitte März Szenarien vor, die explodierende Einkommensverluste in Abhängigkeit von der Länge der Schutzmaßnahmen berechneten. Die Einlassungen sind zwar nicht unplausibel, verkürzen die Betrachtung aber digital auf Schutz oder kein Schutz. Hier wird Druck aufgebaut, um die Schutzmaßnahmen möglichst kurz zu halten. Ifo/HZI bemühen sich später dann um eine gewisse Abwägung.

[2] Auch ifo/HZI setzen trotz offenerer Definition in ifo (a) die staatlichen Maßnahmen mit dem shutdown gleich und leiten hieraus die Wachstumsverluste ab. Dies greift zu kurz.

[3] „Eine gesunde Bevölkerung ist eine notwendige Bedingung für eine starke Wirtschaft“ (Mark Zandi, Moody’s Analytics, zitiert nach Der Spiegel (c)).

[4] Bereits vor den formalen Kontaktsperren Mitte März ging die Mobilität um 50% zurück und die Zahl der Kontakte ging durchschnittlich auf ein Viertel zurück. Der R-Wert sank auf 1. Nach Modellierungen für Deutschland hätte man mit freiwilligen Beschränkungen allein die Epidemie auch in den Griff bekommen, doch wäre die Zahl der Infizierten und die Zahl der Todesfälle mit Corona-Infektion erheblich höher gewesen. Es zeigt sich hier vor allem die Wirksamkeit von Appellen der Politik an die Bevölkerung. (Bos (et.al.), Quaas (et.al.), Der Spiegel (b))

[5] „Die zunehmende Unsicherheit der europäischen Verbrau-cher gibt ebenfalls Anlass zur Sorge. Angesichts der Unsi-cherheit hinsichtlich der Beschäftigungsaussichten und des verfügbaren Einkommens könnten die Haushalte ihre Ersparnisse erhöhen, anstatt Geld auszugeben.“ (DB) So hat sich die Sparquote der privaten Haushalte in Deutschland im zweiten Quartal 2020 auf über 20% fast verdoppelt.

 

 

Italia e UE – Italien und die EU

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Marco Brunazzo è Professore associato di Scienza politica presso l’Università di Trento – Italia. Tra i suoi ultimi libri “La politica dell’Unione europea” (con Vincent della Sala, 2019) e “Italy and the European Union: A Rollercoaster Journey” (con Bruno Mascitelli, 2020)

Il rapporto tra italiani e Unione europea è diventato sempre più critico. Tutti i sondaggi mostrano come nell’arco di poco più di un ventennio gli italiani siano passati da convinti sostenitori dell’integrazione comunitaria a euroscettici (Brunazzo e Della Sala 2011). Secondo i dati dell’inchiesta Parlameter 2018, in caso di referendum sull’appartenenza dell’Italia all’UE, solamente il 44% degli elettori esprimerebbe un sicuro voto a favore della permanenza, il peggiore dato tra tutti i paesi membri (Parlameter 2018, 28). Il fatto che il 32% dei rispondenti (anche in questo caso la percentuale maggiore di tutti gli stati membri) esprima un orientamento incerto o preferisca non rispondere indica ancora più chiaramente il senso di smarrimento degli italiani.

Anche tra i partiti politici il sostegno all’Unione europea ha cessato di essere un tema condiviso tra tutte le principali forze politiche. Non è un caso che alle elezioni politiche del 2018 il partito populista Movimento 5 Stelle (che tra il 2014 e il 2019 aderiva al gruppo politico del Parlamento europeo Europe of Freedom and Direct Democracy di Nigel Farage) abbia ottenuto il 33% dei voti. Nelle elezioni europee del 2019, inoltre, la Lega di Matteo Salvini (dichiaratamente favorevole a una uscita dell’Italia dall’Unione economica e monetaria, se non dall’UE tout court) ha ottenuto il 34% dei consensi, raggiungendo un successo di portata storica per questo partito.

La crisi del coronavirus non ha cambiato questo trend. Anzi, per certi aspetti, l’ha accelerato. Una ricerca realizzata dall’Istituto Affari Internazionali, dalla Fondazione Compagnia di San Paolo e dal Laboratorio Analisi Politiche e Sociali (Laps) dell’Università di Siena pubblicata nel maggio 2020 lo mostra chiaramente (Istituto affari Internazionali 2020). E’ da notare che la raccolta dei dati è stata fatta dopo l’importante Consiglio europeo del 23 aprile, e quindi dopo l’approvazione dell’accordo sul Meccanismo europeo di stabilità che potrebbe portare all’Italia 35 o 36 miliardi di euro per misure relative al settore sanitario.

Per quanto riguarda l’Unione europea, ben il 79% degli intervistati ritiene che gli sforzi dell’UE a sostegno dell’Italia per fronteggiare la crisi siano stati poco o per nulla adeguati, e il 73% ritiene che la pandemia abbia dimostrato il completo fallimento dell’UE. Dato ancora più interessante, le critiche all’UE accomunano gli elettori di tutti i partiti (figg. 1 e 2).

In effetti, stupisce che l’euroscetticismo abbia finito per dilagare anche tra gli elettori del Partito democratico, tradizionalmente il partito più europeista della cosiddetta Seconda Repubblica. D’altro canto, il 71% dell’opinione pubblica ritiene che l’Italia sia stata lasciata da sola di fronte all’emergenza sanitaria. Tuttavia, in questo caso, il 47% degli elettori di centrosinistra ritiene che l’Italia sia stata trattata ingiustamente contro l’87% degli elettori della Lega e di Fratelli d’Italia.

Da segnalare, infine, che, rispetto a un anno fa, la percentuale di coloro che ritiene che vada mantenuta la libera circolazione delle persone nell’UE sia diminuita di ben 10 punti percentuali (61% nel 2020).

Ciò detto, non c’è grande voglia di sovranismo in Italia. Anzi, gli italiani sono convinti che una crisi di portata globale come quella del coronavirus possa essere superata solamente con una maggiore cooperazione internazionale, come ritiene il 68% degli intervistati. Solamente il 32% di loro ritiene che una così importante crisi abbia dimostrato la necessità di una maggiore indipendenza dagli altri stati.

Da questa consapevolezza della necessità di collaborazione occorre ripartire se si vuole che gli italiani si riconciliano con l’UE. Proposte come quella formulata il 18 maggio 2020 dalla Cancelliera tedesca Angela Merkel e del Presidente francese Emmanuel Macron di creare un fondo per facilitare la ripresa europea vanno nella giusta direzione, perché mostrano che un’Europa solidale esiste. Aiutano a rovesciare una narrazione che ha trovato ampia eco nei media italiani secondo cui gli aiuti per contrastare la diffusione del virus sono venuti più dalla Cina e dagli Stati Uniti che dai paesi dell’UE. Si tratta di una narrazione evidentemente falsa, ma che ha trovato sponde anche all’interno del Governo italiano di Giuseppe Conte.

Se L’UE vuole riconquistare il cuore e le menti dei cittadini deve dimostrare di essere in grado di rispondere alle loro necessità più pressanti. Ma questo non deve esimere i paesi economicamente in difficoltà, come l’Italia, ad affrontare i nodi che minano la sua capacità di crescita. L’assunzione di responsabilità verso l’UE dimostrata da Merkel e Macron non può non essere accompagnata da un supplemento di responsabilità del governo italiano a utilizzare i fondi europei per iniziative che permettano al Paese di affrontare i suoi problemi strutturali. Solo adottando decisioni ambiziose sia a livello nazionale che europeo si può sconfiggere il populismo che ha avuto grande fortuna in Italia, un paese definito, non senza ragione, “il paradiso populista” (Hermet 2001). Un populismo che si è nutrito da una parte della narrazione che l’Europa sia largamente incerta di fronte alle sfide più importanti e, dall’altra, della frustrazione prodotta da un’Italia che fatica a ritrovare una sua posizione in uno scacchiere internazionale assai più complesso di un tempo.

Riferimenti bibliografici

Brunazzo, M. e V. Della Sala, From Salvation to Pragmatic Indifference? Europe in Italian Political Discourse, in R. Harmsen, J. Schild (a cura di), Debating Europe: The 2009 European Parliament Elections and Beyond, Baden-Baden: Nomos, p. 69-84.

Hermet, G. (2001), Les populismes dans le monde. Une historie sociologique, XIX-XX siècle, Fayard, Parigi, 2001.

Istituto Affari Internazionali (2020), Emergenza coronavirus e politica estera. L’opinione degli italiani sul governo, l’Europa e la cooperazione internazionale. Rapporto di ricerca a cura di DISPOC/LAPS (Università di Siena) e IAI, disponibile all’URL https://www.affarinternazionali.it/wp-content/uploads/2020/05/LAPS-IAI_2020_covid.pdf (ultimo accesso 20 maggio 2020).

Parlamento europeo (2018), Parlameter 2018. Taking up the challenge: From (silent) support to actual vote, disponibile all’URL https://www.europarl.europa.eu/at-your-service/files/be-heard/eurobarometer/2018/parlemeter-2018/report/en-parlemeter-2018.pdf (ultimo accesso 20 maggio 2020).

Questo è un contributo al blog „Insieme o da soli fuori dalla crisi? L’Unione Europea ad un bivio di fronte alle sfide poste dal virus corona“. Per saperne di più sul progetto, clicca qui!

 

Marco Brunazzo ist außerordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trient – Italien. Zu seinen jüngsten Büchern gehören „La politica dell’Unione europea“ (mit Vincent della Sala, 2019) und „Italy and the European Union: A Rollercoaster Journey “ (mit Bruno Mascitelli, 2020).

Die Beziehung zwischen den Italienern und der Europäischen Union ist in letzter Zeit immer schwieriger geworden. Alle Umfragen zeigen, dass die Italiener innerhalb von etwas mehr als zwanzig Jahren von überzeugten Befürwortern der EU-Integration zu Euroskeptikern geworden sind (Brunazzo und Della Sala, 2011). Nach den Umfragedaten von Parlameter 2018 würden im Falle eines Referendums über die EU-Mitgliedschaft Italiens nur 44% der Wähler ein sicheres Votum für einen Verbleib abgeben, der schlechteste Wert unter allen Mitgliedsländern (Parlameter 2018, 28). Die Tatsache, dass 32% der Befragten (wiederum der höchste Prozentsatz aller Mitgliedsstaaten) Unentschlossenheit zum Ausdruck bringen oder es vorziehen, nicht zu antworten, zeigt noch deutlicher, wie verunsichert die Italiener sind.

Selbst unter den politischen Parteien ist die Unterstützung für die Europäische Union kein einendes Thema mehr für alle wichtigen politischen Kräfte. Es ist kein Zufall, dass bei den Parlamentswahlen 2018 die populistische Partei Movimento 5 Stelle (die sich zwischen 2014 und 2019 der Fraktion Europe of Freedom and Direct Democarcy von Nigel Farage im Europäischen Parlament anschloss) 33% der Stimmen erhielt. Bei den Europawahlen 2019 erhielt die Lega von Matteo Salvini (die sich offen für einen Austritt Italiens aus der Wirtschafts- und Währungsunion, wenn nicht gar für einen Austritt aus der EU aussprach) 34% der Stimmen und erzielte damit einen historischen Erfolg.

Die Coronavirus-Krise hat an diesem Trend nichts geändert. Im Gegenteil, in gewisser Hinsicht hat sie ihn beschleunigt. Dies zeigen Untersuchungen des Istituto Affari Internazionali, der Stiftung Compagnia di San Paolo und des Laboratorio Analisi Politiche e Sociali (Laps) der Universität Siena, die im Mai 2020 veröffentlicht wurden (Istituto Affari Internazionali 2020). Es sei darauf hingewiesen, dass die Datenerhebung nach der wichtigen Tagung des Europäischen Rates vom 23. April und somit nach der Einigung über den Europäischen Stabilitätsmechanismus erfolgte, die Italien 35 oder 36 Milliarden Euro für Maßnahmen im Gesundheitssektor einbringen könnte.

Was die Europäische Union betrifft, so glauben 79% der Befragten, dass die Bemühungen der EU zur Unterstützung Italiens bei der Bewältigung der Krise wenig oder nicht mehr ausreichend waren, und 73% glauben, dass die Pandemie das völlige Versagen der EU gezeigt hat. Interessanter ist, dass die Kritik an der EU von Wählern aller Parteien geteilt wird (Abb. 1 und 2).

Es ist in der Tat erstaunlich, dass sich der Euroskeptizismus schließlich sogar unter den Wählern des Partito Democratico, der traditionell pro-europäischsten Partei in der so genannten Zweiten Republik, verbreitet hat. Andererseits sind zwar 71% der Italiener der Meinung, das Italien während des Corona-Notstandes alleine gelassen wurde. Allerdings sind dabei nur 47% der Mitte-Links-Wähler der Meinung, dass Italien ungerecht behandelt wurde. Unter den Wählern der Lega und der Fratelli d’Italia sind das 87%.

Schließlich ist anzumerken, dass im Vergleich zu vor einem Jahr der Prozentsatz derjenigen, die glauben, dass die Freizügigkeit in der EU beibehalten werden sollte, um bis zu 10 Prozentpunkte zurückgegangen ist (61% im Jahr 2020).

Dennoch gibt es in Italien keinen großen Wunsch nach Souveränismus. Im Gegenteil, die Italiener sind überzeugt, dass eine globale Krise wie die Coronavirus-Krise nur durch eine stärkere internationale Zusammenarbeit überwunden werden kann, wie 68% der Befragten glauben. Nur 32% von ihnen meinen, dass eine so einschneidende Krise die Notwendigkeit einer größeren Unabhängigkeit von anderen Staaten gezeigt hat.

Aus diesem Bewusstsein für die Notwendigkeit der Zusammenarbeit heraus ist es notwendig, neu anzufangen, wenn sich die Italiener mit der EU versöhnen wollen. Vorschläge wie der, den am 18. Mai 2020 Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron unterbreitet haben und der auf die Schaffung eines Fonds zur Erleichterung des europäischen Aufschwungs abzielt, gehen in die richtige Richtung, denn sie zeigen, dass ein solidarisches Europa existiert. Sie tragen dazu bei, ein Narrativ zu entkräften, das in den italienischen Medien einen breiten Niederschlag gefunden hatte das besagte, dass aus China und den Vereinigten Staaten zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus mehr Hilfe gekommen wäre als aus den EU-Ländern. Dieses Narrativ ist offensichtlich falsch, aber es hat bis in die italienische Regierung von Giuseppe Conte Resonanz gefunden.

Wenn die EU die Herzen und Köpfe ihrer Bürger zurückgewinnen will, muss sie zeigen, dass sie in der Lage ist, auf ihre dringendsten Bedürfnisse einzugehen. Aber dies darf wirtschaftlich angeschlagene Länder wie Italien nicht davon befreien, sich den Problemen zu stellen, die ihre Wachstumsfähigkeit untergraben. Die von Merkel und Macron demonstrierte Bereitschaft gegenüber der EU Verantwortung zu übernehmen, kann nur mit einer zusätzlichen Verantwortung der italienischen Regierung einhergehen, europäische Mittel für Initiativen zu verwenden, die es dem Land ermöglichen, seine strukturellen Probleme anzugehen. Nur wenn wir sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ehrgeizige Entscheidungen treffen, können wir den Populismus besiegen, der in Italien großen Erfolg hatte, einem Land, das nicht ohne Grund als „das Paradies des Populismus“ bezeichnet wird (Hermet 2001). Ein Populismus, der sich einerseits von dem Bild genährt hat, Europa sei angesichts der wichtigsten Herausforderungen weitgehend unentschlossen, und andererseits von der Frustration eines Italiens, das darum kämpft, seine Position auf internationalem Parkett wiederzuerlangen, das viel komplexer geworden ist, als es einst war.

Bibliografie

Brunazzo, M. e V. Della Sala, From Salvation to Pragmatic Indifference? Europe in Italian Political Discourse, in R. Harmsen, J. Schild (a cura di), Debating Europe: The 2009 European Parliament Elections and Beyond, Baden-Baden: Nomos, p. 69-84.

Hermet, G. (2001), Les populismes dans le monde. Une historie sociologique, XIX-XX siècle, Fayard, Parigi, 2001.

Istituto Affari Internazionali (2020), Emergenza coronavirus e politica estera. L’opinione degli italiani sul governo, l’Europa e la cooperazione internazionale. Rapporto di ricerca a cura di DISPOC/LAPS (Università di Siena) e IAI, disponibile all’URL https://www.affarinternazionali.it/wp-content/uploads/2020/05/LAPS-IAI_2020_covid.pdf (letzter Aufruf 20. Mai 2020).

Parlamento europeo (2018), Parlameter 2018. Taking up the challenge: From (silent) support to actual vote, disponibile all’URL https://www.europarl.europa.eu/at-your-service/files/be-heard/eurobarometer/2018/parlemeter-2018/report/en-parlemeter-2018.pdf (letzter Aufruf 20. Mai 2020).

Übersetzung Albert Drews unter Verwendung von www.DeepL.com/Translator

Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Blog-Projekts „Gemeinsam oder Einsam aus der Krise? Die Europäische Union am Scheideweg angesichts der Herausforderungen durch den Corona-Virus“. Erfahren Sie hier mehr über das Projekt!

Italy and the EU: a relationship that the coronavirus has made even more difficult

Marco Brunazzo is Associate Professor of Political Science at the University of Trento – Italy. His latest books include „La politica dell’Unione europea“ (with Vincent della Sala, 2019) and „Italy and the European Union: A Rollercoaster Journey“ (with Bruno Mascitelli, 2020).

The relationship between Italians and the European Union has become increasingly critical. All the surveys show that in the space of just over twenty years Italians have gone from being convinced supporters of EU integration to Eurosceptics (Brunazzo and Della Sala, 2011). According to the data from the Parlameter 2018 survey, in the event of a referendum on Italy’s membership of the EU, only 44% of voters would vote for permanence, the worst figure among all member states (Parlameter 2018, 28). The fact that 32% of respondents (again the highest percentage of all member states) express an uncertain orientation or prefer not to respond indicates even more clearly the sense of bewilderment of Italians.

Even among political parties, support for the European Union has ceased to be a shared theme among all the main political forces. It is no coincidence that in the 2018 parliamentary elections the populist party Movimento 5 Stelle (which joined Nigel Farage’s Europe of Freedom and Direct Democracy political group in the European Parliament between 2014 and 2019) won 33% of the vote. In the 2019 European elections, moreover, Matteo Salvini’s League (which was openly in favour of Italy leaving the Economic and Monetary Union, if not the EU tout court) obtained 34% of the votes, achieving a historic success for this party.

The coronavirus crisis hasn’t changed that trend. In fact, in some ways, it has accelerated it. Research carried out by the Istituto Affari Internazionali, the Compagnia di San Paolo Foundation and the Laboratorio Analisi Politiche e Sociali (Laps) of the University of Siena published in May 2020 clearly shows this (Istituto Affari Internazionali 2020). It should be noted that the data collection was made after the important European Council of 23 April, and therefore after the approval of the agreement on the European Stability Mechanism which could bring Italy 35 or 36 billion euros for measures related to the health sector.

Concerning the European Union, as many as 79% of respondents believe that the EU’s efforts in support of Italy to tackle the crisis have been little or no longer adequate, and 73% believe that the pandemic has demonstrated the EU’s complete failure. More interestingly, the criticism of the EU is shared by voters from all parties (Figs. 1 and 2).

Indeed, it is astonishing that Euroscepticism has ended up spreading even among the voters of the Democratic Party, traditionally the most pro-European party in the so-called Second Republic. On the other hand, 71% of public opinion believes that Italy has been left alone in the face of the health emergency. However, in this case, 47% of centre-left voters believe that Italy has been treated unfairly, compared with 87% of the the Lega and Fratelli d’Italia voters.

Finally, it should be noted that, compared to a year ago, the percentage of those who believe that the free movement of people in the EU should be maintained has decreased by as much as 10 percentage points (61% in 2020).

That said, there is no great desire for sovereignty in Italy. On the contrary, Italians are convinced that a global crisis such as the coronavirus crisis can only be overcome with greater international cooperation, as 68% of respondents believe. Only 32% of them believe that such an important crisis has demonstrated the need for greater independence from other states.

From this awareness of the need for cooperation it is necessary to start again if Italians are to reconcile with the EU. Proposals like the one made on 18 May 2020 by German Chancellor Angela Merkel and French President Emmanuel Macron to create a fund to facilitate European recovery head in the right direction, because they show that a Europe of solidarity exists. They help to overturn a narrative that has found wide coverage in the Italian media that aid to combat the spread of the virus has come more from China and the United States than from EU countries. This narration is obviously false, but it has also found its way into the Italian government of Giuseppe Conte.

If the EU wants to regain the hearts and minds of its citizens, it must show that it is able to respond to their most pressing needs. But this must not exempt economically struggling countries, such as Italy, from facing the knots that undermine its capacity for growth. The assumption of responsibility towards the EU demonstrated by Merkel and Macron cannot but be accompanied by an additional responsibility of the Italian government to use European funds for initiatives that allow the country to address its structural problems. Only by taking ambitious decisions at both national and European level, we can defeat the populism that has had great success in Italy, a country defined, not without reason, „the populist paradise“ (Hermet 2001). A populism that has nourished on the one hand the narration that Europe is largely uncertain in the face of the most important challenges and, on the other, the frustration produced by an Italy that is struggling to regain its position in an international chessboard much more complex than it once was.

Bibliographic information

Brunazzo, M. e V. Della Sala, From Salvation to Pragmatic Indifference? Europe in Italian Political Discourse, in R. Harmsen, J. Schild (a cura di), Debating Europe: The 2009 European Parliament Elections and Beyond, Baden-Baden: Nomos, p. 69-84.

Hermet, G. (2001), Les populismes dans le monde. Une historie sociologique, XIX-XX siècle, Fayard, Parigi, 2001.

Istituto Affari Internazionali (2020), Emergenza coronavirus e politica estera. L’opinione degli italiani sul governo, l’Europa e la cooperazione internazionale. Rapporto di ricerca a cura di DISPOC/LAPS (Università di Siena) e IAI, disponibile all’URL https://www.affarinternazionali.it/wp-content/uploads/2020/05/LAPS-IAI_2020_covid.pdf (letzter Aufruf 20. Mai 2020).

Parlamento europeo (2018), Parlameter 2018. Taking up the challenge: From (silent) support to actual vote, disponibile all’URL https://www.europarl.europa.eu/at-your-service/files/be-heard/eurobarometer/2018/parlemeter-2018/report/en-parlemeter-2018.pdf (letzter Aufruf 20. Mai 2020).

Übersetzung Clara Dehlinger unter Verwendung von www.DeepL.com/Translato

This is a contribution to the blog project „Together or alone out of the crisis? The European Union at a crossroads in the face of the challenges posed by the corona virus“. Learn more about the project here!

 

Die Welt(un)ordnung nach der Corona-Krise: 5 Thesen

Alte Gewissheiten werden derzeit durch die COVID-19-Krise reihenweise über den Haufen geworfen. Gilt das auch für die internationale Politik? Welche Folgen hat die Corona-Krise für die Weltordnung und die globalen Machtbeziehungen? Diese Frage ist auch für die Evangelische Akademie Loccum nicht unerheblich. Schließlich haben die großen Weltläufe einen entscheidenden Einfluss darauf, welche Veranstaltungsformate und Tagungsthemen wir in der Zukunft bearbeiten werden.

An Deutungsangeboten zu der Post-Corona Weltordnung gibt es derzeit keinen Mangel. In ähnlicher Rasanz, mit der sich der Virus weltweit ausgebreitet hat, wurden in den letzten Wochen zahlreiche Einschätzungen zu den weltpolitischen Konsequenzen von COVID-19 veröffentlicht. Der Grundtenor der meisten Analysen ähnelt sich sehr. Ganz überwiegend werden tiefgreifende strukturelle Veränderungen in den internationalen Beziehungen erwartet. Vorwiegend wird von einer Zunahme an Dynamik ausgegangen. Die Welt nach Corona werde nicht mehr so sein wie zuvor – so die gängige Meinung.

Betrachtet man diese einzelnen Analysen genauer und durchleuchtet die verschiedenen Einflussfaktoren zu den postulierten Szenarien entsteht allerdings ein differenziertes, wenn auch weniger eindeutiges Bild zu den zukünftigen weltpolitischen Entwicklungen, das von dieser alles-wird-anders Perspektive abweicht. Mindestens fünf Thesen lassen sich formulieren.

Erstens wird die Corona-Krise zu weniger und nicht zu mehr Krieg und militärischer Konfrontation führen. In den letzten Jahren haben wir eine Renaissance der Geopolitik erlebt. Staaten rüsteten auf, Krisendiplomatie versagte zunehmend, die Anzahl der Kriege – ob in Syrien, Jemen oder in der Ukraine – nahm deutlich zu. Das Virus wird diesen Trend – zumindest vorübergehend – stoppen. Gewaltsame Konflikte wird es auch weiterhin geben, aber die Intensität des Kriegsgeschehens wird sinken. Kurz- und mittelfristig wird es weniger militärische Abenteuer und Rüstungsanstrengungen geben – schlicht, weil das Geld für diese Ambitionen fehlt. Erste Anzeichen für diese De-eskalation aufgrund von wirtschaftlicher Erschöpfung sehen wir aktuell bereits in Libyen, Syrien und Jemen. Ja, COVID-19 wird zu einer massiven ökonomischen Krise führen, die Armut, Verelendung, Hunger und Flucht zur Folge haben wird. Aber dies bedeutet nicht notwendigerweise mehr Krieg und vor allem keine Fortführung der aktuellen geopolitischen Renaissance. Kriege führen immer zu Armut, aber ob Armut immer zu Krieg führt, ist auch in der Forschung umstritten. In der Regel sind es nicht die Ärmsten, die zur Waffe greifen. Denn auch dafür braucht man Ressourcen. Konkret wird dieser zumindest vorübergehende Gewaltrückgang vor allem dadurch begründet sein, dass jene Staaten, die in den letzten Jahren sich im globalen Kriegsgeschehen besonders involviert haben – beispielsweise Saudi-Arabien, Iran oder Russland – ihre militärischen Ambitionen im hohen Maße durch Öl- und Gasexporte finanziert haben. Hier sind die Preise aber erst mal im Keller.

Zweitens werden wir keinen beschleunigten Aufstieg Chinas zur führenden Weltmacht erleben – auch wenn das viele Analysten als das wichtigste Resultat der gegenwärtigen Corona-Krise erachten. China gewinnt weltweit immer mehr an Einfluss. Aber diese Entwicklung ist nicht neu und hat durch die COVID-19-Pandemie nicht nennenswert an Rasanz gewonnen. Egal ob in puncto Wirtschaftsleistung, militärische Stärke oder diplomatischen Einfluss – nüchtern betrachtet hat sich an der relativen Verteilung von Machtressourcen zwischen den USA und China in den vergangenen Monaten kaum etwas geändert. Zugegebenermaßen unter Trump gerieren sich die USA, die durch den Aufstieg Chinas besonders herausgefordert werden, in der derzeitigen Krise nicht als verantwortungsvolle Führungsmacht. Aber auch das ist nichts Neues. Neu hingegen ist der atmosphärische Eindruck, dass es China in den letzten Wochen geglückt ist, sich weltweit als durchsetzungsstarker Problemlöser darzustellen. Insbesondere mit Blick auf die ungeklärten Fragen zum Ausbruch der Pandemie und der Verbreitung des Virus in der Frühphase der Krise, ist es derzeit jedoch nicht ausgemacht, ob es Peking auf Dauer wirklich gelingen wird, dieses Image aufrechtzuerhalten.

Drittens werden wir ein (Wieder)Erstarken von Regionalkooperationen sehen. Ja, momentan erleben wir die Corona-Pandemie als eine Zeit die vorwiegend geprägt ist durch das Handeln einzelner Nationalstaaten. Das wird aber auf Dauer nicht so bleiben. Denn für die Bekämpfung der Krise und insbesondere ihrer schwerwiegenden sozio-ökonomischen Folgen ist der nationale Handlungsrahmen deutlich zu klein. Von ein paar notwendigen Arrangements im Bereich der Gesundheitspolitik einmal abgesehen, werden sich die Blicke auf der Suche nach einem geeigneten Format zur Entwicklung und Durchsetzung politischer Lösungen aber vermutlich nicht auf die globale Ebene richten. Vielmehr werden weltweit regionale Kooperationen an Bedeutung gewinnen – hier in Europa beispielsweise die viel gescholtene Europäische Union. Zum einen wird das Aufleben regionaler Zusammenarbeit damit zu tun haben, dass weltweite Mechanismen schon seit längerer Zeit erodieren und der Multilateralismus sich bereits seit einiger Zeit in der Krise befindet. Besonders augenscheinlich wurde das in den vergangenen Jahren durch die notorische Blockade des UN-Sicherheitsrats aufgrund anhaltender Vetopolitik. Das Ausscheiden der globalen Dimension als Lösungsrahmen unterscheidet die aktuelle Pandemie beispielsweise deutlich von der Situation der Finanzkrise von 2007-2008, bei der der Multilateralismus noch deutlich mehr Elan besaß. Zum anderen wird die regionale Zusammenarbeit an Bedeutung gewinnen, weil die derzeitige Hyper-Globalisierung mit ihren weltweiten just-in-time-Lieferketten durch die Corona-Krise an Relevanz verlieren wird. Die Verwundbarkeit dieses Modells wurde aktuell besonders deutlich. Auch hier gilt, dass die Pandemie Entwicklungen beschleunigt, die sich bereits seit längerer Zeit abgezeichnet haben. Denn auch schon vor der Krise war zu erkennen, dass Produktionsprozesse wieder verstärkt in westliche Länder zurückverlegt werden würden – ausgelöst beispielsweise durch steigende Lohnkosten in China und den vermehrten Einsatz von Robotik und Künstlicher Intelligenz in der heimischen Industrie. Bei der Neuausrichtung von transnationalen Lieferketten dürften daher regionale Kooperationen wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen.

Viertens erleben wir durch die Corona-Krise derzeit weltweit einen erheblich beschleunigten Digitalisierungsboom. Es gibt eine rasante Gewöhnung an neue Technologien auch bei Personenkreisen, die diesen Entwicklungen bis vor Kurzem eher kritisch bis ablehnend gegenüberstanden. Diese Entwicklung wird auch die internationalen Beziehungen beeinflussen. Der Cyberraum wird noch stärker als bisher ein Ort für den Wettstreit der großen Mächte werden.  Diese Entwicklung hat sich bereits im Konflikt um das G5 Netz abgezeichnet. Der technologische Vorsprung in den maßgeblichen und eng miteinander verwobenen digitalen Feldern wie Cyber, Robotik und Künstliche Intelligenz wird eine, wenn nicht sogar die zentrale Ressource im Ringen um globale Führungsansprüche werden. Da durch die COVID-19 Krise jetzt im hohen Tempo gesellschaftliche Bereiche durch-digitalisiert werden, dürften digitale Politik-Phänomene – von großflächigen social media Charme-Offensiven bis hin zu Cyberattacken – in der Zukunft unseren Alltag deutlich häufiger bestimmen als bisher.

Fünftens werden wir nach einer kurzen Flaute bald einen Wiederaufstieg des Populismus erleben. In den Debatten über die Auswirkung von COVID-19 ist häufig die Einschätzung anzutreffen, dass der Virus die Populisten entzaubere. Genährt wird diese Hoffnung durch die Tatsache, dass populistische Parteien in der Corona-Krise an Zuspruch verlieren. Deutlich wird diese Entwicklung beispielsweise mit Blick auf die sinkenden Umfragewerte der AfD. Zudem wird in diesem Zusammenhang häufig darauf verwiesen, dass die von Populisten beeinflussten Regierungen – ob in den USA, Großbritannien, Norditalien oder Brasilien – in der aktuellen Krise oft inkompetent und dilettantisch gehandelt haben. Die Verbreitung von sogenannten alternativen Wahrheiten ist nun mal keine geeignete Strategie im Kampf gegen Viren. Ferner ist jetzt die große Zeit der Expert*innen (vgl. https://www.loccum.de/blog/hoffnungs-expertinnen/) und der wissensbasierten Politikberatung – ein Metier, in dem Populisten besonders ungeübt sind. In der aktuellen Phase der Krise, bei der vor allem die gesundheitliche und medizinische Dimension im Vordergrund steht, wird der Hoffnung, dass der Populismus bald auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, folglich eine ganze Reihe von faktischen Anhaltspunkten geboten. In der kommenden zweiten Phase der Krise, die vor allem durch die wirtschaftlichen Folgen des Virus gekennzeichnet sein wird, dürfte sich diese Einschätzung aber nicht bewahrheiten. Es wäre nämlich sehr verwunderlich, wenn es den Populisten dieser Welt nicht gelingen würde, den sich dann bietenden optimalen Nährboden zu nutzen. Nach der jetzigen Flaute werden wir also ein Wiedererstarken der Populisten erleben. In diesem zweiten und vermutlich deutlich längeren Part der Krise wird es nicht mehr primär darum gehen, sich gegen einen neuartigen Erreger zu behaupten. Vielmehr werden die vielfältigen und sich gegenseitig überlappenden sozio-ökonomischen Verteilungskämpfe die Tagesordnung bestimmen. Den Problemen, denen wir dann gegenüberstehen, werden komplexen Kausalmechanismen unterliegen, die öffentlich schwerer zu vermitteln sein werden als die vergleichsweisen simplen viralen Ansteckungswege und Hygiene-Prozeduren – ideale Voraussetzungen für populistische Stimmungsmache.

Neben diesen fünf Thesen gibt es noch zahlreiche offene Fragen in der Entwicklung der zukünftigen Weltordnung, die aktuell derart im Fluss sind, dass sich keine klare Einschätzung formulieren lässt. Zum Beispiel ist derzeit nicht absehbar, wie die Erfahrung einer umfassenden globalen Krise, die hinsichtlich ihres Ausmaßes für viele aktuelle und zukünftige politische Entscheidungsträger neu und einzigartig ist, insgesamt die prinzipiellen Handlungslogiken des Politischen und grundsätzliche Weltsichten beeinflussen wird. Wird die gemeinsame Krisenerfahrung eher egoistisch-konfrontative oder vielmehr kooperative Verhaltensmuster fördern? Steigt die Risikobereitschaft von politischen Entscheidungsträgern oder ist eher das Gegenteil der Fall? Werden Werte, die derzeit scheinbar große Konjunktur haben, wie Sicherheit, Geborgenheit und Gesundheit auch in Zukunft handlungsleitend sein – beispielsweise für kommende politische Anstrengungen im Rahmen der Klimakrise – oder ist ihre Wirkungsmächtigkeit eher von flüchtiger Natur? Etc.?

In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.

Präsident der Reservisten: Deutschland ist mental gut gerüstet

Vom 27. bis 29. Mai fand die Tagung „Verteidigungspolitik auf neuen Wegen. Zwischen Reformhoffnung, Erwartungsdruck und Überforderung?“ in Loccum statt. Am Rande der Tagung interviewte der Journalist Urs Mundt vom Evangelischen Pressedienst (epd) Patrick SENSBURG, Professor für öffentliches Recht und Europarecht, Oberst d. R. und Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. Berlin. Den daraus hervorgegangenen Bericht und das Interview können Sie hier lesen:

Präsident der Reservisten: Deutschland ist mental gut gerüstet

Loccum/Kr. Nienburg (epd). Nach Ansicht des Präsidenten des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg (CDU), ist Deutschland für den Verteidigungsfall zumindest mental gut gerüstet. „Ich glaube, dass sich auch in den Fragen der militärischen Fähigkeit die Demokratie, die Freiheit durchsetzen wird“, sagte der Jurist am Rande einer Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum zum Thema „Verteidigungspolitik“ dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für die meisten Bürgerinnen und Bürger liege auf der Hand, dass das Leben hierzulande es wert sei, beschützt zu werden. „Daher glaube ich, dass wir immer verteidigungsbereiter sein werden als gewaltorientierte Gesellschaften wie in Russland.“

In der russischen Gesellschaft stehe zwar der wehrhafte und starke Mann im Vordergrund, sagte Sensburg weiter. Dennoch tue sich Russland schwer damit, seine Soldaten intrinsisch zu motivieren. „Man versucht, ihnen einen ideologischen Überbau zu geben, indem man vom großen vaterländischen Krieg spricht.“ Doch sei dies Soldaten aus Tschetschenien oder anderen Volksgruppen schwer zu vermitteln. „Viel motivierter als Aggressoren sind immer die, die alles verteidigen, ihre Familie, das Haus, die Freiheit, die Zukunft der Kinder, mit einem Wort: die eigene Heimat.“

Mit scharfen Worten kritisierte Sensburg Vertreter der Friedensbewegung, die Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine zum Irrweg erklären. „Putin will nicht nur die Ukraine mit Krieg überziehen“, warnte er. Daher müsse Deutschland massiv in seine Sicherheit investieren. Zwar gelte es, Krieg mit allen Mitteln zu verhindern und die Tür für Diplomatie stets offen zu halten. „Aber wenn sich die Ukrainer jetzt ergeben, wird dort ein Genozid stattfinden. Das hat Putin angekündigt.“

Um gerüstet zu sein, müsse auch der Heimatschutz gestärkt werden, betonte Sensburg. Ein guter Anfang sei gemacht mit den Heimatschutzregimentern der Reservisten in Bayern, NRW und Niedersachsen. Drei weitere sollen folgen. „Aber sechs Regimenter mit jeweils tausend Reservisten reichen nicht, wenn man Deutschland im eigenen Land verteidigen will und die aktive Truppe an der Nato-Ostflanke ist.“ Auch fehle es an Ausrüstung. Um auch personell verteidigungsfähig zu sein, brauche es außerdem die Wehrpflicht.

epd-Gespräch: Urs Mundt

 

Präsident der Reservisten: Wir müssen den Heimatschutz stärken

Loccum/Kr. Nienburg (epd). Um „Verteidigungspolitik auf neuen Wegen“ ging es Ende Mai bei einer Tagung in der Evangelischen Akademie im niedersächsischen Loccum. Zu Gast war auch der Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, Patrick Sensburg. Der Jura-Professor und langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete (2009-2021) ist überzeugt, dass die Personalstärke der Bundeswehr wachsen muss. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt Sensburg, warum er Deutschland zumindest mental für gut gerüstet hält.

epd: Herr Professor Sensburg, eine Aufgabe der Bundeswehr ist es, im Kriegsfall die Bevölkerung auch im Inland zu schützen. Wie steht es um den Heimatschutz?

Patrick Sensburg: Ein guter Anfang ist gemacht mit den Heimatschutzregimentern in Bayern, NRW und Niedersachsen. Drei weitere sollen folgen. Aber sechs Regimenter mit jeweils tausend Reservisten reichen nicht, wenn man Deutschland im eigenen Land verteidigen will und die aktive Truppe an der Nato-Ostflanke ist. Auch fehlen uns Waffen, Fahrzeuge und Ausrüstung. Unsere Forderung, dass zusätzlich ein Prozent des Sondervermögens in die Reserve investiert wird, wurde bisher leider nicht erfüllt. Um auch personell verteidigungsfähig zu sein, brauchen wir darüber hinaus auch die Wehrpflicht.

epd: Wie konkret ist aus Ihrer Sicht die Bedrohung im Osten?

Sensburg: In der vergangenen Woche haben wir gehört, dass Russland plant, maritime Grenzen in der Ostsee zu verschieben. Nach meiner Einschätzung ist es nicht in Putins Sinn, mit der Ukraine aufzuhören. Wir sehen auch, was in Georgien derzeit passiert. Die Situation ist brenzlig. Deswegen müssen wir dringend in unsere Sicherheit investieren. Dafür brauchen wir nicht nur eine kontinuierliche finanzielle Ausstattung, sondern auch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger.

epd: Namhafte Vertreter der Friedensbewegung, zum Beispiel Margot Käßmann, halten die Aufrüstung für einen Irrweg. Was entgegnen Sie?

Sensburg: Ich bin selbst katholisch. Deshalb freue ich mich, wenn aus der Kirche dieser ganz zentrale und kräftige Wunsch nach Frieden kommt. Wer wissen will, wie schlimm Krieg ist, muss nur in die Ukraine gucken. Dort sind fast 150.000 Ukrainer gefallen oder so schwer verwundet, dass sie im Leben nicht mehr froh werden. Eine vermutlich höhere Anzahl an Russen ist in diesem Krieg geopfert worden. Krieg müssen wir mit allen Mitteln vermeiden. Eine friedliche zivile Gesellschaft, das ist das Ziel, nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa und darüber hinaus. Nur bei den Wegen dahin sind wir uns uneins.

Ich finde es erschreckend, wenn Frau Käßmann vor dem Hintergrund des menschenverachtenden Angriffskrieges Russlands blauäugig sagt „Wir wollen Frieden“ und dazu auffordert, die Ukraine nicht zu unterstützen. Russland ist unstreitig der Aggressor und Putin will nicht nur die Ukraine mit Krieg überziehen. Weder die Ukraine noch ein anderes europäisches Land hatten das Ansinnen, in Russland einzumarschieren.

Von wem die Gewalt ausgeht, ist daher eindeutig und Russland versteht leider nur die Sprache der Macht. Aber ich lasse mich gern überzeugen: Wenn Margot Käßmann Putin überredet, morgen das Militär aus der Ukraine abzuziehen, dann sage ich: Wir brauchen kein Militär mehr, wir haben Frau Käßmann. Bisher hat sie aber anscheinend nur mit Sahra Wagenknecht geredet.

epd: Bräuchte es nicht mehr Diplomatie, um die Gewaltspirale zu durchbrechen?

Sensburg: Ich bin ein großer Freund von Diplomatie. Deutschland müsste hier in der Welt noch viel aktiver sein, wenn wir zum Beispiel derzeit die Schwächen der UN sehen. Die Tür darf nie zu sein, denn Krieg ist immer die schlechteste Option. Aber wenn sich die Ukrainer jetzt ergeben, wird dort ein Genozid stattfinden. Das hat Putin angekündigt. Wolodymyr Selenskyj und alle ukrainischen Politiker werden doch wie Alexei Nawalny nicht mehr lange leben, sie werden als erste umkommen.

epd: Jesus sagt, dass man dem Bösen nicht widerstehen, sondern die andere Wange hinhalten soll. Kann man als Christ Soldat sein oder Verteidigungskriege befürworten?

Sensburg: Ich bin kein Theologe, sondern Jurist, das möchte ich vorausschicken. Natürlich dürfen sich Menschen verteidigen, und ich darf auch jemandem beispringen, etwa wenn jemand in der U-Bahn überfallen wird. Wenn es dann heißt, der Angegriffene solle seine zweite Wange hinhalten, und ich mache nichts, dann käme ich tatsächlich in Konflikt mit meinem christlichen Glauben.

Natürlich hätte ich gern, dass niemand in der U-Bahn zusammengeschlagen wird. Aber anscheinend gibt es Leute, die diese Friedfertigkeit noch nicht in ihr Leben gelassen haben. Und deswegen, glaube ich, braucht es den Polizisten, der dann den Aggressor in Schranken weist. Im Übrigen haben wir in der katholischen Kirche sehr viele Heilige, die Soldaten waren, zum Beispiel der heilige Georg oder Sankt Martin. Ich glaube, für den äußeren Frieden braucht es leider immer noch Soldaten.

epd: Werden in der Ukraine unsere Werte verteidigt?

Sensburg: Die Bedrohung, die von Russland ausgeht, betrifft auch Länder, die sich zum Beispiel im Vertrag von Lissabon zu europäischen Werten bekannt haben. Insofern würde ich sagen: Ja, in der Ukraine werden auch unsere Werte verteidigt. Dabei geht es auch um christliche Werte, die Werte eines Europas mit den gleichen christlichen Wurzeln.

Juristen neigen oft dazu, die Vielfalt der Wurzeln zu betonen, indem sie auf jüdische und arabische Einflüsse sowie die Aufklärung hinweisen. Dem halte ich entgegen, dass Europa mehr als 1.500 Jahre lang vom Christentum geprägt wurde. Nicht umsonst wurde die christlichen Wurzeln in den europäischen Verträgen festgeschrieben – auch wenn natürlich viele weitere Einflüsse unsere freiheitich-demokratischen Gesellschaften geprägt haben. Es sind auch diese Werte und diese Freiheit, die wir verteidigen müssen, nicht nur das territoriale Europa.

epd: Die Kultur des Militarismus gehört in Deutschland der Vergangenheit an. Sind die Menschen in Deutschland auch mental verteidigungsbereit?

Sensburg: Ich hoffe sehr, dass wir diese Kultur ein für alle Mal abgelegt haben. Ich glaube, dass sich auch in den Fragen der militärischen Fähigkeit die Demokratie, die Freiheit durchsetzen wird. Für die meisten Menschen liegt doch auf der Hand, dass das Leben in Deutschland es wert ist, verteidigt zu werden. Daher glaube ich, dass wir immer verteidigungsbereiter sein werden als gewaltorientierte Gesellschaften wie in Russland. Dort steht der wehrhafte und starke Mann im Vordergrund. Aber das macht Russland nicht stärker.

Russland hat es schwer, seine Soldaten intrinsisch zu motivieren. Man versucht, ihnen einen ideologischen Überbau zu geben, indem man vom großen vaterländischen Krieg spricht. Den Soldaten aus Tschetschenien oder anderen Volksgruppen ist das schwer zu vermitteln. Und Verbrecher, denen Haftverschonung versprochen wird, sehen den Dienst an der Front in einem fremden Land nur als ihre Chance, aus dem Gefängnis zu kommen. Viel motivierter als Aggressoren sind immer die, die alles verteidigen, ihre Familie, das Haus, die Freiheit, die Zukunft der Kinder, mit einem Wort: die eigene Heimat. Man darf sie nur nicht ohne Verteidigungsmittel dastehen lassen.

epd: Ist das Bewusstsein für das Eigene hierzulande ausgeprägt genug?

Sensburg: Was die Verteidigung des Eigenen angeht, hat Deutschland schon eine Tradition. Denken Sie an die vielen Schützenvereine in unserem Land, die Bürgervereine, die Bürgerwehren, an die Kultur der freiwilligen Feuerwehr. In unserer durch die deutsche Kleinstaaterei geprägten Geschichte hatten wir über Jahrhunderte in jeder Generation Kriege. Auch daher kommt das Gefühl, beschützen zu müssen, und der tief verwurzelte Wunsch, dass nicht in jeder Generation wieder alles zerstört wird. Krieg gilt es mit aller Kraft zu verhindern, denn wer genau in die Ukraine blickt, sieht, wie elendig Krieg ist.

epd-Gespräch: Urs Mundt