Dem Land Niedersachsen kommt bei der praktischen Zuteilung des Impfstoffes eine entscheidende Bedeutung zu. Die Herausforderung ist: Auch unter der Bedingung von extrem wenig Impfdosen sollten Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen von Pflegeheimen und Mitarbeiter*innen von Krankenhäusern in besonders gefährdeten Bereichen gleichzeitig geimpft werden. Wird nur eine Gruppe dieser Priorisierungsgruppe berücksichtigt, führt das zu unnachvollziehbaren Ungerechtigkeiten.
Da aber die gesamte Gruppe nur stufenweise geimpft werden kann, müssen als Begründung für die Differenzierungen regionale Inzidenzzahlen, Schwerpunktversorgung von Covid-Kranken u.a. herangezogen und kommuniziert werden.
Klar kommuniziert werden sollte vor allem: Priorisierungen enthalten implizit Ungerechtigkeiten. Die Kommunikation dieser unvermeidbaren Ungerechtigkeiten sollte landesweit, gut verständlich und rasch erfolgen und ethisch wie wissenschaftlich gut begründet werden.
Ein interessengeleiteter Run der Einflussreichsten auf den Impfstoff ist kontraproduktiv. Die in einer parlamentarischen Demokratie eingeübte Lobbyarbeit von Verbänden und starken Institutionen ist in diesem Fall kein geeignetes Mittel, um das von der ständigen Impfkommission festgelegte Ziel, der Schadensvermeidung für die größtmögliche Anzahl von Menschen zu erreichen. Weniger gut vernetzte Institutionen in der Fläche Niedersachsens dürfen nicht das Nachsehen haben.
Für die Organisation wichtig ist: Die Bürger*innen Niedersachsens, jetzt in der ersten Impfphase vor allem Menschen mit besonders hohem Risiko, müssen ihre Impfung einschätzen und planen können. Es bedarf umgehend leicht verständlicher, leicht zugänglicher und transparenter Anmeldeverfahren, die ohne professionelle Unterstützung bewältigt können.
Missgunst ist nicht das ethische Gebot der Stunde – gerade auch im Blick auf schon geimpfte Bevölkerungsgruppen. Gegenüber hochaltrigen Menschen kann angesichts kurzer Lebensfristen ein Appell an deren Geduld (Ihr müsst aus Gründen der Gleichbehandlung aller warten, bis alle oder sehr viele durchgeimpft sind) zynisch werden. Ihnen sollte deshalb – sobald gewiss ist, dass sie nicht ansteckend wirken – eine Nutzung ihrer grundrechtlich verbriefen Freiheitsrechte eingeräumt werden.
Dr. Thela Wernstedt, Dr. Martina Wenker, Dr. Stephan Schaede