Aus der Tagung ging das folgende Gespräch des Evangelischen Pressedienstes (EPD) mit der Sozialrechtlerin Prof. Dr. Ursula Rust, bigas Bremer Institut für Gender-, Arbeits- und Sozialrecht, Universität Bremen1 hervor:
Sozialrechtlerin: „Nur gewaltfreie Arbeit ist gute Arbeit“
epd-Gespräch: Martina Schwager
Loccum, Bremen (epd). Geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz ist nach Ansicht von Fachleuten trotz der „Me too“-Bewegung noch immer ein Problem, das zu wenig bekannt ist und gegen das zu selten vorgegangen wird. „Nicht nur die Gesellschaft, sondern jeder einzelne, Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte sind gefordert, einzuschreiten“, sagte die Sozialrechtlerin Ursula Rust am Dienstag in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch die Folgen würden unterschätzt. Wer unter Gewalt am Arbeitsplatz leide, könne sein Potenzial nicht ausschöpfen und sogar erkranken. „Nur gewaltfreie Arbeit ist gute Arbeit“, betonte Rust.
Gewalt müsse so definiert werden, dass dabei immer die Perspektive des Opfers oder der Betroffenen eingenommen werde, sagte Rust. Wenn etwa ein Mann seiner Kollegin auf den Po haue, sei es entscheidend, ob sie das als Belästigung empfinde, selbst wenn er dies nicht beabsichtigt habe. Auch ein Chef, der Mitarbeiterinnen wegen Fehlern bloßstelle, übe Gewalt aus und beeinträchtige deren Arbeitserfolge. Ebenso könne Überforderung eine Form von Gewalt darstellen. Rust ist eine der Organisatorinnen der Tagung „Gewaltfreie Arbeit“ der Evangelischen Akademie Loccum, die am Dienstag begonnen hat. Noch bis Donnerstag tauschen Wissenschaftlerinnen und Praktiker, etwa aus Beratungsstellen, dort ihre Erkenntnisse aus.
Die zunehmende Digitalisierung und wachsende Flexibilisierung von Arbeitszeiten können zu Überlastungen führen. Auch das könne eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt darstellen, auf die manche Angestellte mit einer Burnout- Erkrankung reagierten, erläuterte die Professorin am Bremer Institut für Gender-, Arbeits- und Sozialrecht. Wichtig für die Prävention in Betrieben sei eine Gefährdungsbeurteilung, die auch branchenspezifisch angelegt sein müsse. Denn im Büro lauerten andere Gefahren als etwa in der Industrie, im Handwerk oder in kreativen Berufen. Zudem müsse auch die andere Seite in den Blick genommen werden: „Was können wir tun, damit Täter nicht mehr Täter sind.“
Das Übereinkommen 190 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, das Deutschland noch nicht ratifiziert habe, biete neue Ansätze, auch das Thema häusliche Gewalt im Zusammenhang mit der Arbeitswelt zu betrachten. In der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, dass etwa das Homeoffice zu einer Zunahme der Fälle von häuslicher Gewalt geführt habe. Zudem leide die Arbeitsfähigkeit von Frauen, die zu Hause von ihren Männern geschlagen würden. „Alle Kolleginnen und Kollegen und die Arbeitgeber haben die Folgen zu tragen.“ Betriebe sollten ihre Mitarbeiter sensibilisieren und eigene Strukturen auch für anonyme Gesprächsangebote schaffen.