Wie steht es um den islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen? Was wurde bislang erreicht? Welche Herausforderungen stellen sich? Diese Fragen werden auf der Tagung „Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen“ vom 3. bis 5. Juni 2024 bearbeitet. Im Vorlauf zu dieser Tagung interviewte der Evangelische Pressedienst Prof. Dr. Annett Abdel-Rahman vom Institut für Islamische Theologie (IIT) an der Universität Osnabrück. Frau Abdel-Rahman ist Mitveranstalterin der Tagung. Aus dem Interview ging folgender Bericht hervor, den Sie hier unten lesen können. Der Bericht erschien unter anderem auch auf dem Portal evangelisch.de und in der Evangelischen Zeitung.
Expertin warnt: Islamischer Religionsunterricht ist in der Krise
Osnabrück (epd). Der islamische Religionsunterricht steckt nach Ansicht der Osnabrücker Religionspädagogin Annett Abdel-Rahman in der Krise. In Niedersachsen fänden ausgebildete Lehrkräfte keine Stelle, sagte Abdel-Rahman in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). In der Folge wollten immer weniger junge Menschen das Fach studieren. Obwohl einige Schulen Bedarf anmeldeten, würden Stellen aus Geldmangel nicht ausgeschrieben. Andere Schulen weigerten sich, islamischen Religionsunterricht anzubieten, weil sie nicht zum Anziehungspunkt für muslimische Schülerinnen und Schüler werden wollten.
In den meisten anderen Bundesländern stagniere die Entwicklung ebenfalls, sagte die Professorin am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. In den Ministerien „wird sich nicht mehr gekümmert oder man blockiert und bremst“. Niedersachsen etwa habe die Stelle der Landeskoordinatorin für den islamischen Religionsunterricht, die sie bis vor einem Jahr innegehabt habe, bislang nicht wiederbesetzt. Eine Fachberatung existiere nicht.
Nordrhein-Westfalen erweckte den Anschein, als ob das Land nach Auslaufen des Modellprojekts mit bekenntnisorientiertem Unterricht im kommenden Jahr wieder zum Islamkunde-Unterricht zurückkehren werde. In Bayern werde immer noch nur Islamkunde angeboten, sagte Abdel- Rahman. Die Expertin veranstaltet gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Loccum vom 3. bis zum 6. Juni eine Tagung zum islamischen Religionsunterricht.
Da bekenntnisorientierter Religionsunterricht sogar in Artikel 7 des Grundgesetzes verankert sei, empfänden viele Muslime die Situation als diskriminierend, zumal die Zahl der Muslime in Deutschland stetig wachse, betonte Abdel-Rahman. Gerade vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Spannungen angesichts des zunehmenden Antisemitismus und des antimuslimischen Rassismus sei der islamische Religionsunterricht wichtiger denn je. „Dort ist der Raum, um all diese Themen zu diskutieren und den Kindern und Jugendlichen Maßstäbe für eine eigene Wertebildung an die Hand zu geben.“
Ein eigener Religionsunterricht habe für die Muslime zudem eine identitätsstiftende Wirkung, weil sie sich in Deutschland noch immer als ungeliebte Minderheit fühlten, erläuterte die Religionspädagogin. „Wir brauchen den islamischen Religionsunterricht, weil die muslimischen Jugendlichen sich nicht verstanden fühlen.“ Dort könnten zudem wichtige gesellschaftliche Themen behandelt werden wie Klimawandel oder Organspende. „Wenn er wieder abgeschafft würde, verlieren wir ein wichtiges Instrument, um mit den muslimischen Schülerinnen und Schülern im Gespräch zu bleiben.“
Eine lähmende Wirkung auf den islamischen Religionsunterricht habe möglicherweise auch die zunehmende Säkularisierung und die Skepsis in der Mehrheitsgesellschaft gegenüber dem Religionsunterricht insgesamt. Diese Skepsis teilten die Muslime jedoch nicht. Abdel-Rahman fordert deshalb eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. „Wenn wir wollen, dass die Muslime aktive Bürger der Gesellschaft werden, müssen wir ihnen Wertschätzung entgegenbringen.“
epd-Gespräch: Martina Schwager