With the following button you will be redirected to Google Translate:

to Google Translate

Auf dem Weg zu neuer Solidarität?

Julien Thorel

Dr. Julien Thorel, Politikwissenschaftler, ist Direktor des europapolitischen Think Tanks cepFrance – Centre de politique européenne (Paris) seit dessen Gründung im Februar 2019. Seit über 20 Jahren begleitet er wissenschaftlich-publizistisch aber auch durch zivilgesellschaftliche Projekte die deutsche und französische Europa-Politik und die deutsch-Französischen Beziehungen.

 

Dieser Beitrag wurde zunächst in in der französischen Zeitschrift Acteurs du franco-allemands veröffentlicht. 

 

Pour Julien Thorel, directeur du think tank cepFrance, le plan de relance proposé par la Commission européenne, qui va au-delà de l’initiative franco-allemande du 18 mai, est ambitieux. Il soulève néanmoins certaines interrogations quant à sa mise en œuvre.

Nachdem das Primat der Menschengesundheit von Anfang März bis Anfang Mai in der EU zum wirtschaftlichen Stillstand geführt hat, vergeht kaum eine Woche, ohne dass die Frage der innereuropäischen Solidarität aufgeworfen wird.

Une Union européenne qui fait pâle figure

Auf die beschlossenen Restriktionen folgten rasch wirtschaftspolitische und regulatorische Maßnahmen auf nationalstaatlicher Ebene. Nach manchem Fehlstart, etwa hinsichtlich des Maskenexports, zeigte sich durch die Aufnahme von Patienten aus Nachbarländern bilaterale Solidarität. Indessen wirkte die Europäische Union bei der europäischen Öffentlichkeit höchst zögerlich: als Impulsgeber galt sie lange als überforderter „Spätzünder“ und ihr wurde Handlungsunfähigkeit unterstellt. Es war tatsächlich der Fall im Bereich der Gesundheitspolitik, da die dafür erforderlichen Kompetenzen zur Bekämpfung der Pandemie nicht bei der EU, sondern bei den Nationalstaaten liegen. Wirtschaftspolitisch wurden die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit an die EU weitgehend enttäuscht. Die schwierige Kompromissfindung der Finanzminister der Eurozone auf ein 540 Milliarden-Sicherheitsnetz Anfang April wirkte sich katastrophal auf die Wahrnehmung des innereuropäischen Handlungsgeschehens aus. Schließlich erreichte die Verwirrung ihren Höhepunkt, als das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Staatsanleihenkaufprogramm (PSPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) Anfang Mai nicht nur die Legitimität des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als „Hüter der Verträge“ und die Unabhängigkeit der EZB infrage stellte, sondern auch die unverzichtbare Beteiligung der Bundesbank am PSPP-Programm.

Un signal politique franco-allemand positif…

Nach der Verzweiflung kehren Hoffnungen auf einerseits « solidarischeres Umgehen miteinander », andererseits die Antriebskraft des deutsch-französischen Motors wieder ein, der nach langem Zögern am 18.Mai wieder Konsensfähigkeit zeigte. Im deutsch-französischen Kompromiss wurde dem Aufruf zur Solidarität Rechnung getragen, der seit März insbesondere in Südeuropa kontinuierlich immer lauter geworden ist. Dementsprechend sieht der Vorschlag der EU-Kommission vom 27. Mai die höchsten Beträge für Italien (173 Mrd. €) und Spanien (140 Mrd. €) vor: Das kann man alles nur begrüßen!

… mais des questions restent en suspens

Allerdings sind sich die EU-Mitgliedstaaten weiterhin uneinig in der Konzeption von Solidarität. Diese wird weitgehend an der Einwilligung zur Bereitstellung von Zuschüssen bzw. Krediten gemessen. Kaum war die Merkel-Macron-Abmachung verkündet, schon äußerte der österreichische Bundeskanzler Kurz als einer der Wortführer der „sparsamen Vier“ (neben Schweden, Dänemark und den Niederlanden) Vorbehalte. Deren Gegenvorschlag beharrt lediglich auf der Vergabe von Krediten.

Mit Fingerspitzengefühl geht Ursula von der Leyen weit über den deutsch-französischen Konsens vom 18. Mai hinaus und trägt manchen Forderungen den « sparsamen Vier » Rechnung – ein anderer Lösungsvorschlag wäre allerdings vor den 27 Mitgliedstaaten am 19. Juni kaum vertretbar gewesen. Jedoch bleibt dahingestellt, ob die Vergabe der angebrachten Finanzmittel irgendeiner Konditionalität unterliegt. Der Kommissionsvorschlag – wie Paris und Berlin zuvor – hütet sich nämlich davor, sowohl die Empfänger-Kriterien als auch die Rückzahlungsbedingungen zu definieren.Kredite UND Zuschüsse sind eine sinnvolle Mischung: einerseits kommen die hohen Zuschüsse den wiederholten Aufrufen zu mehr europäischer Solidarität entgegen und „kontern“ die billigen Vorwürfe der Populisten. Andererseits erinnert die vorgesehene enorme Kreditmenge gleichzeitig auch die Empfänger-Staaten daran, dass die EU kein väterlicher Beschützer ist, bei dem man anklopfen muss, wenn man ihn braucht: Wer von der EU-Familie profitieren will, muss auch die Familienregeln beachten. Sprich: Keine Finanzmittelvergabe ohne Strukturreformen. Alles andere wäre ein „No-Go“. Der Teufel steckt eben in diesen noch ungeklärten Details, die eine weitere spannende Auseinandersetzung in Brüssel versprechen.

Dabei wird politische Solidarität im breitesten Sinne gefunden werden müssen: Erstens gegenüber den „am stärksten betroffenen Ländern“; zweitens gegenüber den vier oben genannten Nettozahlern, welche ihren Beitrag zum EU-Budget nicht erhöhen wollen; und drittens auch den osteuropäischen Staaten gegenüber, welche eine Erhöhung ihrer jeweiligen Zuschüsse aus dem Kohäsionsfonds erwarten.

 

Julien Thorel referierte am 9.6. im Rahmen der gemeinsam von der Evangelischen Akademie Loccum und Antenne Metropole  veranstalteten Online-Veranstaltungsreihe „Virtueller deutsch-französischer Austausch“ in der Folge „Die Deutsch-Französische Initiative – Wendepunkt der bilateralen Beziehungen in der Coronakrise?“

 

Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Blog-Projekts „Gemeinsam oder Einsam aus der Krise? Die Europäische Union am Scheideweg angesichts der Herausforderungen durch den Corona-Virus“. Erfahren Sie hier mehr über das Projekt!

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar