Coronabedingt kann die Kinderakademie zurzeit noch nicht wieder Präsenzveranstaltungen in Loccum anbieten. Daher gibt es ein digitales Format mit Anregungen zu Aktivitäten zuhause oder unterwegs. Daran sind vier kreative Menschen beteiligt, die vielen Familien durch Kinderakademieveranstaltungen vertraut sind: die Bildende Künstlerin Cornelia León-Villagrá, der Erfinder Hermann Krekeler, die Autorin Nikola Huppertz und die Kirchenpädagogin Marion Wrede. Wie viele andere Künstlerinnen und Künstler sind auch sie ganz oder teilweise freiberuflich tätig. Ich habe sie gefragt, wie sie die vergangenen Monate erlebt haben, welche Veränderungen sie wahrnehmen und was sie sich perspektivisch erhoffen.
Die Coronakrise hat auf die Kulturschaffenden gravierende Auswirkungen. Staatliche Rettungsmaßnahmen haben für viele nicht greifen können, weil sie die erforderlichen Bedingungen nicht erfüllen können. Ob nun finanziell oder in anderer Hinsicht:
Was waren für euch in der Anfangszeit die gravierendsten Einschnitte?
Cornelia Léon-Villagrá:
Ich bin seit ein paar Jahren fest angestellt am Theater, und deswegen hatte ich das Glück, keine finanzielle Not zu haben. Aber Kreativität braucht natürlich auch etwas anderes – sie braucht Inspiration, sie braucht auch Reisen, Kino, Theater. Und deshalb fand ich es trotzdem sehr einschränkend. Und dazu immer die Bilder zu sehen, wie es in der Welt aussieht, das ist natürlich kein Nährboden für Kreative.
Hermann Krekeler:
Für mich war gravierend, dass wir unsere Kulturbäckerei total schließen mussten. Die Kulturbäckerei ist ein Treffpunkt für Flüchtlinge und Hanstedter Bürger*innen mit einem kulturellen Angebot, aber auch sehr viel Geselligkeit – Singen, Deutsch lernen, Ausstellungen. Ich habe das sehr vermisst, weil ich dort meine Kreativkurse gemacht habe, sowohl Musik, als auch Erfinder-Werkstatt mit Kindern.
Nikola Huppertz:
Als der Lockdown kam, fing eigentlich die Hauptlesesaison an, die ist immer im Frühjahr. Ich hatte innerhalb von wenigen Tagen ungefähr 50 Lesungsabsagen. Für eine einzige gab es ein Ausfallhonorar, alles andere fiel ersatzlos weg. Ich hatte das Glück, dass ich dann Soforthilfe erhalten habe, vom Land Niedersachsen und auch noch von der VGH-Stiftung. Nicht so arg betroffen war für mich das Schreiben, das kann ich ja immer und überall machen. Das hat mich dann über die Zeit beruflich einigermaßen gerettet.
Marion Wrede:
Ich hatte wirklich überhaupt keine Arbeit mehr, weil die Schulklassen, die sonst zu mir kommen, um hier in der Kirche zu arbeiten, einfach nicht mehr kommen durften. Es gab keine Schule, also hatte ich auch keine Arbeit.
Welche Auswirkungen hatte das auf eure Kreativität?
Cornelia Léon-Villagrá:
Bei mir waren das die elektronischen Medien – digitale Kommunikation, online. Da wäre ich sicher so schnell sonst nicht rangegangen. Aber ich muss ehrlich sagen, genau so schnell bin ich wieder zurückgegangen zu meinem geliebten Analogen, sobald es irgendwie möglich war. Aber trotzdem ist es gut, da habe ich ein bisschen was gelernt.
Hermann Krekeler:
Das ist natürlich eine große Herausforderung, wenn man nicht mit seinen gewohnten Gruppen und Medien arbeiten kann und sich neue Wege ausdenken darf, die man dann möglicherweise auch weiter nutzen kann, nachdem man dann wieder zu den vertrauten zurückgekehrt ist – also virtuelle Formate zu entwickeln, wie zum Beispiel Aufgaben zu stellen, die man durch Einsenden von Bildern oder Filmen lösen kann und damit Erfahrungen zu sammeln. Da sind wir ja jetzt immer noch dran, zum Beispiel mit unserem Loccumer Kinderakademie-Projekt „Vom Hühnchen, das grad‘ nicht nach Loccum kann“.
Nikola Huppertz:
Ich fand es erst ziemlich schwierig, mich auf diese Geschichten-Welten zu konzentrieren, die ich mir vor der Krise ausgedacht hatte und in denen ich mitten drinsteckte. Denn plötzlich war die echte Welt eine andere. Da hab‘ ich mich gefragt: Kann ich beim Schreiben so tun, als wäre kein Corona? Irgendwann habe ich beschlossen: Das ist so konzipiert, das ist die Welt, in der die Geschichte spielt, und die führe ich jetzt fort.
Was ich auch erlebt habe und was ohne diese ganze Krise nicht zustande gekommen wäre: Zehn verschiedene Autorinnen und Autoren haben zusammen eine Geschichte erfunden nach dem Staffelstab-Prinzip und in Form von Videolesungen hochgeladen als Geschenk an unsere Leserinnen und Leser. Dabei ist eine ganze lange Geschichte entstanden in dieser Zeit des Shutdowns.
Marion Wrede:
Die Kreativität ist ungebrochen, aber ich musste natürlich umdenken, weil die Gruppen, mit denen ich arbeiten wollte, wie gesagt, nicht kommen durften. Und komisch ist, dass die Menschen zuerst in die Kirche wollten und nicht durften, jetzt dürfen sie wieder und trauen sich nicht. Ich mache jetzt Angebote für ganz kleine Gruppen und für Familien, und ich mache gezielt Werbung für Turmführungen, um die Perspektive zu wechseln.
In dem von uns gemeinsam entwickelten Format „Vom Hühnchen, das grad‘ nicht nach Loccum kann“ geht es ja um coronabedingte Verhinderungen, auf direktem Wege ans Ziel zu gelangen, aber auch um neue Erfahrungen und Perspektiven.
Welche neuen Wege habt ihr in eurem künstlerischen Schaffen entdeckt?
Cornelia Léon-Villagrá:
Darüber, dass ich digitale Arbeiten produziert habe, habe ich schon etwas mitgenommen, aber, wie gesagt, ich bin analog und werde es auch bleiben. Die Entschleunigung allerdings spüre ich noch stark. Und das hoffe ich auch für unsere Gesellschaft, dass wir das ein bisschen beibehalten und dass wir, wenn wir hoffentlich alle gut aus dieser Pandemie rauskommen und dann wieder gute andere Themen haben, im Kopf behalten, wie es auch war.
Hermann Krekeler:
Für mich war es der Trickfilm. Das ist nicht neu für mich, das habe ich schon mit sechs Jahren angefangen, aber natürlich damals sehr primitiv. Und heute ist es großartig, dass man mit jedem Handy und mit jeder Gruppe sofort Stop-Motion-Filme machen kann. Das hat für mich eine Faszination, davon werde ich auch zukünftig nicht lassen.
Nikola Huppertz:
Für mich war es auch das digitale Format, das eine Brücke zu den Leserinnen und Lesern dargestellt hat. Ich habe Videolesungen aufgezeichnet und mittlerweile auch Live-Onlinelesungen gegeben. Es ist natürlich kein Ersatz für eine direkte Begegnung, aber besser als gar keine Begegnung. Ich habe den Eindruck gehabt, dass die Kinder damit recht unbefangen umgegangen sind und es für sie relativ schnell normal wurde. Ich glaube, in manchen Fällen kann sich diese Form des Auftritts und des Austauschs halten, zum Beispiel, wenn es über große Entfernungen geht. Ob man jetzt für eine Lesung ins Ausland fliegt, ist immer eine Frage, auch ob das ökologisch aufgeht. Ich glaube, in solchen Fällen ist es gut mitzudenken, dass es diese digitalen Wege gibt.
Marion Wrede:
Es gibt keine neuen Wege für mich, weil ich in dieser 600 Jahre alten Kirche mit bestimmten Methoden arbeite, und die kann ich nur in dieser Kirche anwenden. Deshalb: Ich brauche diesen Ort, um zu arbeiten, und daher gibt es auf diese Frage im Moment keine weitere Antwort.
Was wünscht ihr euch für die nächsten Monate?
Cornelia Léon-Villagrá:
Ich wünsche mir vor allem, dass wir wieder andere Themen im Fokus haben, zum Beispiel die Nachhaltigkeit oder die Flüchtlingsfragen – dass man sich wieder diesen Themen zuwenden kann über die Krise hinaus.
Hermann Krekeler:
Ich wünsche mir sehr, dass diese Coronakrise nicht bloß als eine Heimsuchung gesehen wird, sondern dass man sich über die vielen Chancen, die darin enthalten sind, freut und sagt: Wow, das war genau richtig zu dieser Zeit, dass da das passiert ist. Denn es wäre schade, wenn wir so tun würden, als könnten wir wieder genau da ansetzen, wo wir vorher aufgehört haben – das können wir in vielerlei Hinsicht nicht. Das betrifft sowohl ökologische Fragen wie auch zwischenmenschliche Fragen. Mir wäre es angenehm, wenn viele Sachen weitergehen würden, zum Beispiel, dass man nicht überall hinreisen muss. Ich habe ganz großartige Erfahrungen mit Zoom Konferenzen gemacht. Da muss man sich melden und nur einer redet zur Zeit, und die anderen müssen zuhören. Das ist so großartig, dass ich mir wünsche, dass man das, was man da gelernt hat, an Distanz auch, mit einer größeren Aufmerksamkeit weiterverfolgt. Und da bin ich ganz zuversichtlich, dass davon etwas hängenbleibt.
Nikola Huppertz:
Für mich persönlich wünsche ich mir, dass wieder mehr Veranstaltungen möglich werden. Ich vermisse die Begegnung mit den Kindern und wünsche mir, dass wieder unmittelbare Kontakte stattfinden können. Was ich mir auch wünsche, ganz allgemein, ist, dass sich das Denken nicht mehr permanent um Krankheit dreht und dass dieses Freudige, wenn man einander begegnet, wiederkommen kann und nicht immer der erste Gedanke ist: Oh, infizieren wir uns gegenseitig. Hoffentlich bekommen wir das aus unseren Köpfen wieder raus, ohne deswegen rücksichtslos zu werden.
Marion Wrede:
Ich wünsche mir, dass die Einschränkungen gelockert oder dann auch irgendwann wieder aufgehoben werden können, damit die Schülerinnen und Schüler wieder hierherkommen können. Ob es Grundschüler*innen sind oder junge Erwachsene, sie finden immer diesen außerschulischen Lernort, diese Kirche, interessant und kommen gerne her. Und da ich hauptsächlich mit Gruppen arbeite, ist viel gemeinsames gemeinschaftliches Tun dabei: Wir suchen zusammen Symbole, wir verteilen Kerzen, wir fassen Gegenstände an und essen zusammen ein Brot oder Weintrauben. Das ist einfach schön. Und es wäre prima, wenn ich das wieder machen könnte.
Das digitale Angebot „Vom Hühnchen, das grad‘ nicht nach Loccum kann“ ist hier zu finden .
In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.