Mittwochmorgen, 8:24 Uhr. Die Schule meiner Tochter geht online. Lang ersehnt, nicht nur von der Mutter, sondern auch vom Kind selbst. Ich vermisse die Schule – solche Sätze wären vor Corona kaum vorstellbar gewesen. Endlich kommt Struktur in den Tag. Wir schalten unseren Laptop an und…nichts passiert. Die Iserv-Seite lädt und lädt. Das Rädchen dreht sich und weder am Laptop noch auf den anderen Endgeräten, die wir unser nennen, bekommen wir Zugang. Da liegen sie nun, die Foren, die in den vergangenen Tagen von der Schule aus dem Boden gestampft wurden. Für uns unerreichbar.
1000 Schüler*innen gehen gleichzeitig ins Netz und bevor es richtig losgeht, ist es auch schon zu Ende. Da Iserv das einzige Kommunikationstool der Schule zu den Jugendlichen ist, erreicht uns die Nachricht, dass der Server nicht funktioniert, über Umwege per WhatsApp. Ein Schüler aus der Parallelklasse soll von der Klassenlehrerin angerufen worden sein: Heute findet kein Unterricht statt. Er hat es in die WhatsApp-Gruppe seiner Klasse geschrieben und von dort ist es zu uns rübergeschwappt.
Hurra, schulfrei, ruft mein Kind. Planänderungen. Another day on the sofa: Snapchat, YouTube und Pinterest sind doch sowieso viel cooler als die Klassenlehrer. Auf die ist wenigstens Verlass! Viktoria und Sarina, die beiden österreichischen YouTube-Stars, posten drei Mal wöchentlich ein neues Video. Dienstag, Donnerstag, Samstag – danach kann man den Wecker stellen. Elli V-Toys, die im fernen Australien tagein und tagaus Legosets zusammenbaut und Kindersehnsüchte weckt, übernimmt an den übrigen Tagen. Wer braucht da noch die Schule?
Und ich? Ich ringe um Fassung, wie so oft in diesen Wochen seit der Schließung der Schulen. Um 10 Uhr trifft sich die Studienleitung der Akademie online zur Dienstbesprechung. Zum Glück noch etwas Zeit, um die Enttäuschung abzuschütteln. Auch sie hat sich in den vergangenen Wochen angestaut. Vor den Ferien wurden „wir“, als auch mein Arbeitsplatz nach Hause verlagert wurde, mit Hausaufgaben regelrecht zugeschüttet. So musste ich nicht nur meine Tagungen bis zum Sommer absagen und mir neue Onlineformate überlegen, sondern nebenbei auch noch ein sehr ungeliebtes System zur Strukturierung der Hausaufgabenflut einführen. In den Osterferien herrschte zum Glück Ruhe an der Iserv-Front, die den häuslichen Frieden massiv beeinträchtigt.
Verwundert hat mich nur, weshalb nach den Ferien auch nichts kam. Eine Nachricht, die sich an die Kinder richtet, die einfach mal danach fragt, wie es den Kindern derzeit geht. Keine Nachricht, die Leistung fordert, sondern einfach nur etwas ganz „Unverzwecktes“, Freundliches, den Kindern Zugewandtes. Schön wäre das gewesen… Vielleicht erwarte ich auch zu viel. Unterricht, Fürsorge, was denn noch alles?!
Natürlich kann ich mir vorstellen, was die Schulen derzeit leisten – an internen Prozessen, in Abstimmung mit den Schulträgern und dem Ministerium in Hannover. Sie müssen ihr System komplett umstellen, auch für sie ist alles neu. Sie tun sicherlich ihr Bestes und die aktuelle Lage geht auch ihnen an die Nieren – viele Lehrer*innen sind ja schließlich selbst Eltern und es geht ihnen nicht anders als mir.
Ich habe Verständnis, ich übe mich in Geduld. Schuldzuweisungen helfen im Moment wirklich niemandem.
Dies ist also der „neue Abschnitt“, von dem der niedersächsische Kultusminister in seinem nachösterlichen Brief an uns Eltern schreibt. Lernprozesse und -orte müssen neu gestaltet werden. Dies ist also das Szenario, mit dem der um Klarheit bemühte Schulleiter und sein engagiertes Team, das Iserv für die neuen Herausforderungen flott gemacht hat, schon gerechnet hatten. Vorsorglich hatten sie um Geduld und viel Verständnis gebeten, denn es würde in der Erprobung sicherlich vieles schief gehen. Wir müssten einander unsere Fehler verzeihen und dürften jetzt nicht übereinander herfallen, wenn Dinge nicht klappen.
Es gilt jetzt, zusammenzuhalten, um die Herausforderungen der kommenden Wochen zu meistern, schreibt der Kultusminister am Ende seines Briefes. Er sei der festen Überzeugung, dass uns das gemeinsam gelingt.
In dieser Hoffnung warte ich auf morgen, wenn es wieder heißt: die Schule geht online!
In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.