Aufgrund der Corona-bedingten Sicherheitsauflagen sind Präsenzveranstaltungen an der Evangelischen Akademie Loccum auf unbestimmte Zeit nur eingeschränkt durchführbar. Viele Kolleg*innen jonglieren nach wie vor zwischen Kinderbetreuung und Homeoffice, Büroarbeitszeiten und online-Formaten. Das gesamte Team vor Ort investiert viel Zeit und Energie auf der Suche nach Machbarem vor Ort, neuen Hybrid-Formaten und technischen Lösungen.
Da unter diesen Umständen eine verantwortungsvolle Begleitung einer*s Freiwilligen nicht möglich ist, beschloss die Ev. Akademie Loccum für den Jahrgang 2020/21 keinen Platz für das FSJ-Politik anzubieten. Gerade in dieser Krisenzeit einen Rückzieher machen zu müssen, fiel schwer, denn wir wissen, dass insbesondere in dieser Zeit junge Menschen gefördert und gefordert werden sollten und Orientierung benötigen.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie bewirken weitreichende Verschiebungen im FSJ- und Ausbildungs-Gefüge. Dabei ist der Trend jedoch nicht eindeutig. Einige Einrichtungen berichten von „guten Chancen für den Corona-Jahrgang“: aufgrund fehlender Ausbildungsplätze und veränderter Studienbedingungen treten 20 Prozent mehr Freiwillige als im Vorjahr dort ihren Dienst an. Andere Einrichtungen hatten Probleme, die Stellen zu besetzen und suchten gar per Video-Ausschreibungen nach geeigneten Bewerber*innen. Dabei sei, so einige Einsatzstellen, gerade in Corona-Zeiten der Einsatz Freiwilliger im Gesundheitssystem und in systemrelevanten Aufgabenbereichen wichtig und wertvoll. Geworben und gefördert wird von vielen Seiten. Über das Konjunkturprogramm stellt Schleswig-Holstein beispielsweise zusätzliche zwei Millionen Euro für die Freiwilligendienste bereit und ergänzt so die im Bundesprogramm vorgesehene Ausbildungsinitiative.
Welche Auswirkungen die Pandemie auf das FSJ in Niedersachsen hatte und welche Veränderungen sich aus der Corona-Pandemie für den kommenden FSJ-Jahrgang ergeben, erläutern Juliane von Iten und Lukas Rappe von der LKJ Niedersachsen.
Einfluss der Pandemie auf den aktuellen FSJ-Jahrgang
Zu bemerken ist, dass in diesem Jahr weniger FSJ-ler*innen ihren Einsatz früher als geplant beenden. Ein Zusammenhang mit der Pandemie kann jedoch nicht belegt werden. Tatsache ist jedoch, dass die Mehrzahl der Freiwilligen mit der Corona-bedingten Umstellung auf das Arbeiten von zu Hause ein sehr abgeschwächtes Freiwilliges Soziales Jahr erlebt haben.
Viele Einsatzstellen, die die Freiwilligen betreuten, konnten ihre Angebote nicht mehr aufrechterhalten. Großflächig abgesagt werden mussten zum Beispiel Führungen, Projektarbeiten mit Jugendgruppen und politische Groß- und Kleinveranstaltungen. Dadurch, dass viele Einsatzstellen sich selber erst einmal auf die neue Situation einstellen mussten, konnten auch viele eigenverantwortliche Projekte der FSJ-ler*innen nicht wie geplant stattfinden. In der ersten Phase der Orientierung und Neuausrichtung der Einsatzstellen gab es sicher wenig für viele FSJ-ler*innen zu tun. Manche Einsatzstellen banden die Freiwilligen in den Prozess mit ein. Für andere war dies nicht realisierbar.
Seitens der Einsatzstellen erlebten wir eine große Kooperationsbereitschaft. Freiwillige wurden zeitweise freigestellt, um bei den Covid-19-Bürger*innen-Telefonen aushelfen zu können. Den Freiwilligen wurde ermöglicht neue Projekte zu initiieren, die sich u. a. mit dem Thema der Pandemie beschäftigten. Andere Einsatzstellen konnten nicht die nötige digitale Infrastruktur für ein Homeoffice für Freiwillige schaffen. Bei Letzteren wurden ebenfalls Freistellungen ermöglicht, damit sich die Freiwilligen beim Pendeln nicht infizieren.
Anfangs gab es von allen Seiten viele organisatorischen Fragen. Antworten darauf waren unterschiedlich schwer zu finden. Aber in allen Fällen haben wir eine (wenn auch zunächst nur vorübergehende) Lösung gefunden. Schwer wurde es in Bezug auf die pädagogische Begleitung der Freiwilligen. Wir mussten Wege und Strukturen aufbauen, um die Begleitung digital zu gewährleisten. Wir versuchten es mit Telefonaten und Webmeetings. Das hat gut funktioniert, aber nichts davon ersetzt ein Treffen vor Ort und die Beziehungsarbeit, die Face-to-Face im „Reallife“ möglich ist.
Sehr deutlich fehlten die Bildungstage, an denen wir mit den Freiwilligen zum einen inhaltlich arbeiten, zum anderen aber auch mit ihnen besprechen, wie sich das FSJ für die Freiwilligen in den jeweiligen Einsatzstellen entwickelt. Auch hier ist online kein passender Ersatz gefunden worden.
Einfluss der Pandemie auf den kommenden FSJ-Jahrgang 2020/21
Für das FSJ Politik und FSJ Kultur sind ca. 30 Prozent weniger Anmeldungen von interessierten Jugendlichen eingegangen.
Die LKJ Niedersachsen geht davon aus, dass die rückläufigen Zahlen aus der nicht vorhandenen gymnasialen Abschlussstufe in Niedersachsen resultieren. Obwohl die Pandemie die Möglichkeit zur Öffentlichkeitsarbeit, die für den Zeitraum März bis Mai an allen Schulformen geplant waren, verhinderte, stellt die Corona-Pandemie aus unserer Sicht keinen Grund für die sinkende Nachfrage dar.
Eher ist das Gegenteil der Fall: aufgrund unklarer Voraussetzungen für ein Auslandsjahr (FSJ oder Work&Travel) steigt die Bereitschaft, in Deutschland einen Freiwilligendienst zu leisten. Auch lässt sich beobachten, dass Jugendliche eher Plätze in regionaler Nähe zu ihrem Wohnort bevorzugen und einen Umzug aktuell in der Mehrzahl vermeiden.
Aufgrund der teils guten Erfahrungen mit Online-Bildungstagen und Online-Einsatzstellenbesuchen planen wir diese Formate auch für das kommende Jahr ein; zumindest anteilig. Es ist nicht alles schlecht an der Onlinebegleitung: Wir versuchten, die Situation auch als Chance zu begreifen und haben uns getraut, bisher Unerprobtes auszuprobieren. Einige der Projekte sind nicht so gelaufen, wie wir sie konzipiert hatten. Dennoch hat sich gezeigt, dass Bildungsarbeit online auch neue Potentiale öffnet. Eine eindeutige Erfahrung ist, dass „Meetings“ und „Calls“ eine andere Form der Moderation benötigen als das gemeinsame Arbeiten in Seminarräumen. Hier ist sicher noch viel mehr möglich als das bisher Ausgeführte und für bestimmte Themen sind online-Formate geradezu förderlich. Wenn z. B. Kommunikation thematisiert wird, kommt es online noch mehr als sonst darauf an, aufmerksam zuzuhören und Bedürfnisse präzise zu formulieren. Das bedarf einer sorgsameren Einführung und Begleitung als dies im „Reallife“ nötig ist.
Das Seminar zeigte zudem, dass sich online durchaus dieselben Gruppenbildungsmomente abzeichnen wie offline. Ich (L. Rappe) vermute, dass eine Gruppe, die gemeinsam online in die Trägerbegleitung startet, sich entsprechend gut von unserer Seite aus begleiten lässt. Dieses Jahr war es für viele eine „erzwungene“ Umstellung auf ein anderes Medium. Im kommenden Jahr gehen wir davon aus, dass es noch einmal so sein kann. Dementsprechend können Kommunikationsmuster schon am Jahreseinstieg ausgehandelt, etabliert und erprobt werden.
Mit Blick auf die Einsatzstellen im FSJ Kultur und FSJ Politik gehen wir davon aus, dass ca. fünf Prozent der Einrichtungen Corona-bedingt von ihrem Platz zurücktreten mussten. Gründe hierfür sind zum einen fortbestehende Unsicherheiten wie die unklare Finanzierung, die offene Frage, wann wieder geöffnet werden darf, mit welchen Angeboten und mit welcher Anzahl an Teilnehmenden. Zum anderen geht es auch um konkrete räumliche Voraussetzungen, wenn bspw. die Büros nicht mit dem Abstandsgebot zu mehreren Personen nutzbar sind.
Da einige Einrichtungen jedoch neu hinzugekommen sind oder zwei Plätze statt bisher einen angeboten haben, lässt sich aktuell der Wegfall noch einigermaßen verkraften. Die Förderpartner*innen signalisieren ein großes Entgegenkommen und Verständnis, wenn Mittel umgewidmet werden müssen (vom analogen zum digitalen Seminar bspw.) Ob jedoch die Pandemie zu einem späteren Zeitpunkt noch größere finanzielle Einbrüche mit sich bringt (Einsparungen von Kommunen bzw. eine zweite Welle o.ä.), lässt sich momentan nicht absehen. Auch ist nicht absehbar, inwieweit die finanziellen Einbrüche bei freischaffenden Künstler*innen oder kleinen Kultureinrichtungen dauerhaft die Freiwilligendienste schädigen. Ganz abgesehen von den situationsbedingten Zurücknahmen besteht innerhalb der LKJ Mitgliedsstrukturen und ihrer Einsatzstellen sowie Werkstattleitenden eine große Wertschätzung, Empathie und natürlich Solidarität. Die LKJ Niedersachsen wird kulturpolitisch daran mitwirken, dass Fonds auch in diese Richtung Wirkung zeigen.
Was hat die LKJ durch die Corona-Pandemie gelernt?
Die LKJ Niedersachsen ist sehr gut im kreativen, konstruktiven und positiven Reagieren auf Krisen. Das ist ihr in dieser Situation zugutegekommen. Das Team hat schnell und konsequent reagiert was bspw. die Absage der Seminare betraf oder die Kommunikation mit Einsatzstellen und Freiwilligen. Auch die organisatorische und technische Umstellung aller Kolleg*innen auf Homeoffice verlief relativ reibungslos und zügig. Es gab sehr kurzfristig Angebote und Gespräche mit Einrichtungen zum Thema Kurzarbeit oder Teilzeit-Freiwilligendienst. Gelernt hat die LKJ Niedersachsen sicherlich, wie es klappen kann, dass ein komplettes Team im Homeoffice arbeitet und Teamsitzungen ebenso konstruktiv über Video stattfinden müssen. Auch hat die LKJ gelernt, digitale Seminare durchzuführen und auch hier als Team zu agieren. Positiv und zuversichtlich war das Team vorher auch schon. Während der Corona-Pandemie kam dies allen sehr zugute.
In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.
Juliane v. Ilten, Leitung Freiwilligendienste, Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LJK) Niedersachen
Lukas Rappe, Begleitung und Koordination der Freiwilligen und Einrichtungen, Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LJK) Niedersachen