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Zum deutsch-italienischen Verhältnis im Zeichen der Corona-Krise

Ein Beitrag von Studienleiter Albert Drews

Neben dem Corona-Virus sind in Italien die Auswirkungen einer zweiten Form von Virus deutlich geworden, das sich in letzter Zeit in die italienische Öffentlichkeit eingeschlichen hat. Die Symptome sind eine EU-Skepsis, die immer stärker in eine EU-Feindlichkeit umschlägt. Damit einher gehen starke Ressentiments gegen Deutschland, die die deutsch-italienischen Beziehungen vor eine große Belastungsprobe stellen.

Noch vor 20 Jahren ließ sich aus den halbjährlichen Erhebungen des Eurobarometers herauslesen, dass Italien ein europafreundliches Land war, in dem die Bevölkerung vor allem gegenüber den europäischen Institutionen, gegenüber einer Vertiefung der Union sowie einer gemeinschaftlichen Außenpolitik positiv eingestellt war. Diese Einstellungsmuster waren als Wunsch zu interpretieren, europäische Institutionen und europäische Politik könnten die als defizitär empfundenen Leistungen des nationalen politischen Systems kompensieren. Insbesondere auf die Einführung des Euros wurden dabei große Hoffnungen gesetzt, aber auch auf eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik.

Diese Hoffnungen haben sich jedoch nicht erfüllt. Im Gegenteil – während auf fast allen europäischen Politikfeldern Stillstand herrschte, geriet Italien spätestens während der Finanzkrise stark unter Druck – ein Druck, der, wie in anderen südeuropäischen Staaten, zu massiven sozialen Verwerfungen und zunehmender politischer Instabilität führte. So wurde auf der Tagung „Italien – im Würgegriff des Populismus?“ der Evangelischen Akademie Loccum von dem renommierten italienischen Politikwissenschaftler Giovanni Orsina nachgezeichnet, wie sich in Italien mehr und mehr eine ablehnende Haltung aufbaute, die sich gegen das wie auch immer geartete Establishment richtete und die von den neuen populistischen Akteuren kräftig geschürt wurde.

Der Unmut richtete sich gegen die eigenen politischen Eliten, die sich nach weit verbreiteter Meinung dem Diktat der Austeritätspolitik beugten, das einzig der Selbsterhaltung der politischen und wirtschaftlichen „Kaste“ diene. Er richtete sich neuerdings aber auch gegen „Brüssel“, also die politischen Institutionen, in die man vor Jahren so viele Hoffnungen setzte, und die nun enttäuschten und im Gegenteil als die Urheber der Restriktionen dastehen, die Italien wirtschaftlich knebelten. Und er richtete sich schließlich, meist subtil aber immer öfter auch offen ausgesprochen, gegen ein in dieser Situation prosperierendes Deutschland, das sich seine wirtschaftliche Solidität u.a. auf dem Rücken der Italiener erwerbe. Dieser Vorwurf findet seit einigen Jahren seinen Ausdruck sehr sinnbildlich in dem täglichen medialen Blick auf den „Spread“, also die Differenz der Renditen auf Staatsanleihen in Italien und Deutschland – eine wirtschaftliche Kennzahl, die in ihrer Prominenz den Wechselkurs zum Dollar, den Rohölpreis oder Börsenindizes längst abgelöst hat.

All diese Entwicklungen stoßen in den national segmentierten Medienöffentlichkeiten auf guten Nährboden. Denn über europäische und über deutsche Politik ist in Italien wenig bekannt, weil nur sehr rudimentär und selektiv berichtet wird. Umgekehrt ist in Deutschland in Bezug auf Italien die Situation etwas besser, aber auch unbefriedigend. Dies offenbarte sich bereits in der öffentlichen Berichterstattung zur europäischen Flüchtlingskrise. Und nun schlug das Coronavirus wie ein Blitz auf dem Kontinent ein, und besonders betroffen war Italien.

Im März verhängte die Bundesregierung einen nationalen Exportstopp für medizinisches Material wie Atemschutzmasken, der auch für EU-Länder galt. Das Echo auf diese Maßnahme war in Italien verheerend. Nachdem die EU-Kommission am 15. März ein Exportverbot erließ, konnte innerhalb der EU auch Italien wieder aus Deutschland beliefert werden. In der öffentlichen Meinung war das Kind in Italien da schon in den Brunnen gefallen. Von allen Seiten, weit über das populistische Lager hinaus, hagelte es Kritik an den hartherzigen Deutschen und den zögerlichen Europäern. In Deutschland wurde ab den 15. März sehr positiv über die solidarische Lieferung größerer Mengen an Atemschutzmasken nach Italien und die Aufnahme einiger italienischer Covid-19-Patienten in deutschen Kliniken berichtet und so ein Bild von umfassenden Hilfsleistungen und großem Engagement für Italien gezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits, sehr medienwirksam inszeniert, 300 chinesische Ärzte und Experten einschließlich des Vizepräsidenten des chinesischen Roten Kreuzes sowie große Mengen an medizinischem Gerät in Italien gelandet.

Die sozialen Medien taten ihr übriges, um Gerüchte entstehen zu lassen und zu verbreiten. Beliebt waren u.a. die Nachricht, Deutschland hätte seinen Luftraum für Hilfsflüge aus Russland nach Italien gesperrt oder Deutschland veröffentliche falsche Zahlen, um das nationale medizinische System besonders leistungsfähig aussehen zu lassen. Dieses Gerücht veranlasste die römische Tageszeitung „La Repubblica“ am 30. März, an exponierter Stelle einen Artikel ihrer Deutschland-Korrespondentin Tonia Mastrobuoni zu veröffentlichen, in dem sie über das „Mysterium der Zahlen“ in Deutschland aufklärt. Dort charakterisiert sie überspitzt das derzeitige Klima, das in sozialen Netzwerken, aber auch „in einigen Fernsehnachrichten und Zeitungen“ gegenüber Deutschland herrscht: „Sie verstecken die Toten, sie verstecken die Tests. Sie fälschen die Daten. Sie ignorieren die Kranken und tun so, als würden sie an einer Erkältung sterben. Sie begraben Opfer von Lungenentzündung, die eigentlich am Corona-Virus gestorben sind. Kurz: Die Deutschen lügen, verstecken, fälschen“.

Als vorläufiger Höhepunkt in diesem Drama ist die Auseinandersetzung um die richtigen Instrumente für die finanzielle Bewältigung der Corona-Krise auf europäischer Ebene zu beobachten. In der italienischen Öffentlichkeit gab es hier sehr schnell die Vorfestlegung: Gemeinsame Eurobonds seien das Mittel der Wahl, das Problem sei aber Deutschland, das sich Eurobonds verweigere und somit ein europäisches Vorgehen in der Corona-Krise verhindere. Dieser Meinungsbildungsprozess war in der italienischen Öffentlichkeit bereits abgeschlossen, als in Deutschland die Diskussion in den letzten Märztagen die nationale Öffentlichkeit erreichte. Wie groß der Druck in dieser Sache ist, offenbarte sich dem deutschen Fernsehpublikum, als am 31.3. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte der ARD zur Hauptsendezeit um 20:15 Uhr ein Interview gab. Conte, der 2018 mit leicht frisiertem wissenschaftlichen Lebenslauf und einem gehörigen Schuss Eitelkeit als Marionetten-Ministerpräsident der populistischen Regierung aus Lega und 5-Sterne-Bewegung startete, deren eigentliche Führungspersönlichkeiten Matteo Salvini und Luigi Di Maio waren, hat nach dem Koalitionswechsel ein Jahr später nicht zuletzt im Management der Corona-Krise deutlich an politischem Standing gewonnen. Sachlich, aber sehr nachdrücklich setzt er sich für Euro-Bonds ein und schmiedet dabei Allianzen mit den wichtigen Partnern in Spanien und Frankreich.

Ebenso sachlich und nachdrücklich bringen sich seitdem nun auch deutsche Politikerinnen und Politiker auf europäischem Parket ein. Die SPD-Minister Scholz und Maas plädierten am 6.4. dabei beispielsweise, wie bisher die gesamte Bundesregierung, in einem Interview für mehrere europäische Zeitungen für eine Aktivierung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Das Problem: In der italienischen Öffentlichkeit ist darüber keine ergebnisoffene Diskussion mehr möglich. Denn egal welche politische Lösung die sinnvollere ist: Eine Regelung ohne Euro- oder Coronabonds hieße immer, dass sich Deutschland durchgesetzt und den Vorschlägen Italiens nicht entsprochen hätte. Und da abzusehen ist, dass es auch bei der bestmöglichen Abfederung der Folgen der Corona-Krise mehr Verlierer als Gewinner geben wird, würden in der italienischen Öffentlichkeit Ressentiments gegenüber Deutschland nicht abgebaut werden.

Wie wäre das alles zu vermeiden gewesen, und wie sind zukünftige Eskalationen zu verhindern? Der Schlüssel wäre hier eine aufmerksamere europäische Öffentlichkeit. Politische Diskussionen dürfen nicht immer erst dann in einem breiteren öffentlichen europäischen Rahmen geführt werden, wenn sie über die Gräben, die die nationalen Kommunikationszusammenhänge gegeneinander abschließen, hinüberschwappen. Denn dann herrscht in einem nationalen Kontext bereits schwere See, wenn im anderen der erste Tropfen landet. Schlimmstenfalls wird der unterschiedliche Wellengang in den verschiedenen Öffentlichkeiten gar nicht wahrgenommen, weil die Gräben Kommunikation verhindern. Diese zeitliche Asymmetrie bzw. Nichtwahrnehmung muss beseitigt werden. Europäische Berichterstattung muss mehr als eine selektive Betroffenheitsberichterstattung sein. Ein dauerhaftes öffentliches Interesse für die Befindlichkeiten unter den europäischen Partnern ist vonnöten. Ein Anfang ist gemacht, wenn sich die politischen Protagonisten den Medien in anderen europäischen Staaten stellen. Wenn sich für diese Fragen im Zuge der Corona-Krise eine Sensibilität einstellt, kann damit der Weg für echtes europäisches Handeln, das öffentlichkeitswirksam ist, frei gemacht werden.

An der Evangelischen Akademie Loccum fand zuletzt vom 8.-10. November 2019 eine Tagung mit dem Titel „Italien – im Würgegriff des Populismus?“ statt,  auf der viele Aspekte, die für diese Diskussion wichtig sind, besprochen wurde.

In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.

Dr. Albert Drews ist Studienleiter für Kultur- und Politikwissenschaftler; Kulturpolitik, Politische Kultur, Medien