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Die Suche nach einem Lager für hochradioaktive Abfälle

Monika C. M. Müller (Hrsg.): Die Suche nach einem Lager für hochradioaktive Abfälle. In der Schweiz und in Deutschland, Loccumer Protokolle Band 26/2022, Rehburg-Loccum 2024, ISBN 978-3-8172-2622-1, 126 Seiten

Inhalt

Monika C. M. Müller
Vorwort

Martin Steinebrunner
Wie sind die Verfahren in der Schweiz und in Deutschland aufgestellt?

Meinert Rahn
Rolle der Sicherheit im Standortauswahlverfahren der Schweiz

Manfred Suddendorf
Vorstellung des Nationalen Begleitgremiums

Ueli Müller
Wie sind die Verfahren in der Schweiz und in Deutschland aufgestellt?

Meinert Rahn
Wer stellt im CH-Verfahren sicher, dass die Sicherheit gewährleistet ist?

Felix Meier
Sicherheitstechnische Beurteilung von Nuklearanlagen durch Laien

Marlène Koller
Wer stellt im Verfahren sicher, dass die Sicherheit gewährleistet ist?

Rony Emmenegger
Partizipation und Sicherheit. Expert:innen und Lai:innen auf der Suche nach einem geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle in der Schweiz

Asta von Oppen und Ulrich Smeddinck
Über Geld spricht man nicht. Doch! Aber wann und wie? Ein Beitrag aus Sicht einer Bürgerin und eines Wissenschaftlers

Thomas Flüeler
Herausforderungen der Verfahren und Lösungsansätze. Die Suche nach einem Lager für hochradioaktive Abfälle. In der Schweiz und in Deutschland

Andreas Fox
Was ist für die nächsten Schritte im Deutschen Verfahren wichtig? Aus der Sicht eines Mitglieds im Planungsteam Endlagersuche zum Forum Endlagersuche

Kleingruppenarbeit
Ausgleichszahlungen. Gedankensplitter

Im Gespräch
Endlager für hochradioaktiven Atom-Müll: „Wie viele Eiszeiten dürfen da drüberbrettern?“ Video-Interview mit Meinert Rahn aus der Reihe „Drei Fragen an …“ am 25. Juli 2022

Im Gespräch
Fukushima selbst mit neusten Kernkraftwerken möglich. Video-Interview mit Michael Sailer aus der Reihe „Drei Fragen an …“ am 25. Juli 2022

Im Gespräch
Kein zweites Gorleben: Zur neuen Suche nach Endlager für hochradioaktiven Atom-Müll. Video-Interview mit Stefan Studt aus der Reihe „Drei Fragen an…“ am 25. Juli 2022

Die Erneuerung der transatlantischen Partnerschaft

Jörg Calließ
Die transatlantische Partnerschaft braucht einen offenen Diskurs

Morten Kelstrup
The European Union and Globalisation: Reflections on Strategies of individual States

Peter M.E. Volten
The EU as Actor in Security Policy: Rival or Partner of the USA?

Gunther Hellmann
Zwischen Globalisierung und Repolarisierung: Die Transatlantische Partnerschaft in einer Zerreißprobe

Francoise Manfrass-Sirjaques
Die Verzahnung von Werten und Interessen als Spezifikum der transatlantischen Gemeinschaft

Thomas Risse
The Transatlantic Community – A Community of Values? Implications for Security Policy

Matthias Dembinski
Leadership and Multilateralism: How do the United States and the Europeans play their roles in the world?

Jonathan Dean
How the Transatlantic Relationship Will Survive the Errors of its Partners

Elmar Brok
Die neue Transatlantische Agenda: Das Zusammenspiel von wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Aspekten

Elmar Brok
Der Vertrag von Nizza – Ende der EU-Handlungsfähigkeit

Klaus-Peter Gottwald
Transatlantische Beziehungen EU-USA

Bowman H. Miller
Renewal of the Transatlantic Partnership

Franz Nuscheler
Multilateralismus vs. Unilateralismus. Kooperation vs. Hegemonie in den transatlantischen Beziehungen

Daniel N. Nelson
Post Communist Insecurity

Rainer Baumann
In Search of a New Atlantic Bargain: Some Thoughts on Security Cooperation in the Transatlantic Partnership

Dirk Messner
Die EU in der Weltpolitik

James Appaturai
Stronger European Capabilities: The Implications for Euro-Atlantic Crisis Management

Kurt P. Tudyka
Amerika und „wir“ – Europäische Begrenzungen der amerikanischen Hegemonie? Ein Denkanstoß

David Grant
Notice of Revocation of Independence

Fouzieh Melanie Alamir/Roderich Kiesewetter
The European Security and Defense Policy and Potential Causes of Friction with NATO

Jonathan Dean
Unilateral Deployment of National Missile Defense: A Second Hiroshima?

James Appathurai
The New Transatlantic Partnership for the 21st Century

Fouzieh Melanie Alamir
European Security and Defense Policy – A Crack Within NATO?

Daniel N. Nelson
Four Confusions, Four Misunderstandings: Ghosts of America’s Balkan Policy

Colette Mazzucelli
Conflict Prevention for Kosovo/a in an Era of ‚Illiberal Democracy‘. Contributions and Challenges in the Transatlantic Experience. Discovering Education’s ‚Tourth Wave‘

Bill Harman
Pre-Conference Statement

Elly Rijnierse
Towards Global Democracy

Richard Seebohm
The Renewal of the Transatlantic Partnership. Work Group V: International Organisations, Nation States and Civil Society: Where are the perspectives for multi-track policies involving these sectors?

Giovanni Scotto
Whither World Peace? Six Theses for security and conflict transformation in the XXI Century

Reports from the working groups

The Renewal of Transatlantic Partnership

Young Leaders Declaration

Susanne Iden
USA und EU: Balance einer neuen Partnerschaft. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 16. März 2001

Jugendbildung und digitale Akademie

Mit Spannung verfolge ich die für heute anberaumten Gespräche der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder, die Klarheit bringen sollen, wie das schulische Leben nach der Coronapause um Ostern wieder aktiviert werden soll. Werden die Länder den Empfehlungen der Leopoldina folgen, die über die Feiertage diskutiert wurden? Wird die Wiederaufnahme schrittweise erfolgen, in kleinen Gruppen, mit Mundschutz? Werden erst die älteren Schüler*innen wieder an den Start gehen und die, die unmittelbar vor einem Schulwechsel stehen? Gehen erst wieder die Grundschüler*innen zur Schule, weil sie das soziale Miteinander „am meisten brauchen“ und „mit dem digitalen Lernen“ überfordert sind?

Der Schulleiter meiner Tochter informiert uns Eltern schon einmal vorsorglich, dass die Schulschließungen auch über den 19.4. hinausgehen können und damit beim Thema Digitalisierung ordentlich das Tempo angezogen werden muss. Er hofft, dass die Schule zügig in eine Form des digitalen Unterrichts einsteigen kann und bittet darum, gelassen und geduldig bei diesen ersten Schritten zu sein. Gerade in der Anfangszeit müsse mit Kompromissen gelebt werden, weil das digitale Lernen von technischen Rahmenbedingungen abhängig sei, die gerade erst organisiert werden müssen. Für Anfang Mai ist der vorzeitige Start der niedersächsischen Bildungscloud geplant, mit der dann vieles gebündelter und einfacher für die Schulen werden soll.

Neue Rahmenbedingungen, Klärungen und Kompromisse – damit sind auch wir außerschulischen Bildungsakteure derzeit täglich befasst. Wir stellen uns die Frage, wie wir angesichts der Vielzahl abgesagter Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen bis zu den Sommerferien unserer Aufgabe der gesellschaftspolitischen Jugendbildung nachkommen können. Wie schnell können wir handlungsfähig werden? Was brauchen die Schulen derzeit und was können wir anbieten? Welche technischen Rahmenbedingungen brauchen wir? Welche Programme erfüllen die Datenschutzbestimmungen, womit dürfen die Schulen arbeiten?

Klar im Vorteil ist, wer bereits vor der Krise Methoden des „blended learnings“, Analoges und Digitales zusammen, eingesetzt hat. Die anderen bewegen sich jetzt vorsichtig und in kleinen Schritten auf neues Terrain. Unsere Stärke ist die Begegnung von Menschen, der Dialog. Unsere Angebote für junge Menschen sind beteiligungsorientiert und leben vom Widerspruch. Lässt sich dieser Anspruch auch digital umsetzen und wie gestalte ich das?

Wir sind alle Lernende, beruhigte Thomas Krüger, der Leiter der Bundeszentrale für Politische Bildung, neulich in einem Onlinegespräch mit Kolleg*innen zu neuen Formaten politischer Bildung. Viele von uns benutzten derzeit – aus Ermangelung von Wissen oder Praxis – digitale Plattformen, deren Datenökonomie wir unter anderen Bedingungen kritisieren und ablehnen würden. Aber vielleicht träfen wir hier, bei Instagram oder Youtube, bei Zoom und Co., gerade in diesen Zeiten unsere Zielgruppe.

Ich habe die Wahl: Ich kann mich davor fürchten, Fehler zu machen und auf die Zeiten hoffen, in denen wir unsere unverwechselbare Begegnungsarbeit in der Akademie und in Kooperation mit Schulen wieder aufnehmen werden. Ich kann aber auch die Herausforderung annehmen, vor die uns die Coronakrise gestellt hat, und die Zeit nutzen, um dazu zu lernen und Neues auszuprobieren – getreu dem biblischen Motto „Prüft alles, das Gute behaltet.“

Nichts kann den direkten Austausch von Menschen bei uns in Loccum ersetzen. Doch sind wir in Zeiten des „physical distancings“ dazu aufgerufen, Dinge neu und anders zu gestalten. Aus dreitägigen Veranstaltungen in Loccum werden so modulare, kürzere Angebote, die auf die Bedürfnisse von Jugendlichen und die derzeitigen schulischen Rahmenbedingungen abgestimmt sind.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann dies: dass es gelingt auf diesen neuen Pfaden das bereits vorhandene digitale Knowhow meiner Zielgruppe zu erkennen und zu nutzen. Im Umgang mit neuer Software sind sie versierter, experimentierfreudiger und unbekümmerter als ich es je sein werde. Davon möchte ich mir persönlich eine Scheibe abschneiden. Ich möchte gemeinsam mit Jugendlichen neue Formate politischer Bildung ausprobieren, die Mitarbeit ermöglichen und Spaß machen.

Ende April habe ich Gelegenheit dazu. Schüler*innen des Göttinger Hainberg-Gymnasiums werden mit unserem langjährigen Referenten Prof. Paul Rundquist zu den US-Wahlen 2020 und zur derzeitigen Coronasituation in den USA per Videokonferenz ins Gespräch kommen Rundquist hat mehr als dreißig Jahre für den wissenschaftlichen Dienst des US-Kongresses gearbeitet und ist ein ausgewiesener Kenner des politischen Systems der USA. Er war Fulbright-Professor in Polen, auf den Philippinen sowie in Deutschland und Lehrbeauftragter an der London School of Economics. Nach wie vor ist Rundquist an der Universität Halle-Wittenberg tätig. Von einer Reise in seine Heimat USA, auf der er ursprünglich die Primaries der Demokraten verfolgen wollte, konnte er aufgrund der Coronakrise nicht nach Deutschland zurückkehren. Er wird uns von Ocean City, Maryland, aus zugeschaltet sein.

In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.

 

Die Welt(un)ordnung nach der Corona-Krise: 5 Thesen

Alte Gewissheiten werden derzeit durch die COVID-19-Krise reihenweise über den Haufen geworfen. Gilt das auch für die internationale Politik? Welche Folgen hat die Corona-Krise für die Weltordnung und die globalen Machtbeziehungen? Diese Frage ist auch für die Evangelische Akademie Loccum nicht unerheblich. Schließlich haben die großen Weltläufe einen entscheidenden Einfluss darauf, welche Veranstaltungsformate und Tagungsthemen wir in der Zukunft bearbeiten werden.

An Deutungsangeboten zu der Post-Corona Weltordnung gibt es derzeit keinen Mangel. In ähnlicher Rasanz, mit der sich der Virus weltweit ausgebreitet hat, wurden in den letzten Wochen zahlreiche Einschätzungen zu den weltpolitischen Konsequenzen von COVID-19 veröffentlicht. Der Grundtenor der meisten Analysen ähnelt sich sehr. Ganz überwiegend werden tiefgreifende strukturelle Veränderungen in den internationalen Beziehungen erwartet. Vorwiegend wird von einer Zunahme an Dynamik ausgegangen. Die Welt nach Corona werde nicht mehr so sein wie zuvor – so die gängige Meinung.

Betrachtet man diese einzelnen Analysen genauer und durchleuchtet die verschiedenen Einflussfaktoren zu den postulierten Szenarien entsteht allerdings ein differenziertes, wenn auch weniger eindeutiges Bild zu den zukünftigen weltpolitischen Entwicklungen, das von dieser alles-wird-anders Perspektive abweicht. Mindestens fünf Thesen lassen sich formulieren.

Erstens wird die Corona-Krise zu weniger und nicht zu mehr Krieg und militärischer Konfrontation führen. In den letzten Jahren haben wir eine Renaissance der Geopolitik erlebt. Staaten rüsteten auf, Krisendiplomatie versagte zunehmend, die Anzahl der Kriege – ob in Syrien, Jemen oder in der Ukraine – nahm deutlich zu. Das Virus wird diesen Trend – zumindest vorübergehend – stoppen. Gewaltsame Konflikte wird es auch weiterhin geben, aber die Intensität des Kriegsgeschehens wird sinken. Kurz- und mittelfristig wird es weniger militärische Abenteuer und Rüstungsanstrengungen geben – schlicht, weil das Geld für diese Ambitionen fehlt. Erste Anzeichen für diese De-eskalation aufgrund von wirtschaftlicher Erschöpfung sehen wir aktuell bereits in Libyen, Syrien und Jemen. Ja, COVID-19 wird zu einer massiven ökonomischen Krise führen, die Armut, Verelendung, Hunger und Flucht zur Folge haben wird. Aber dies bedeutet nicht notwendigerweise mehr Krieg und vor allem keine Fortführung der aktuellen geopolitischen Renaissance. Kriege führen immer zu Armut, aber ob Armut immer zu Krieg führt, ist auch in der Forschung umstritten. In der Regel sind es nicht die Ärmsten, die zur Waffe greifen. Denn auch dafür braucht man Ressourcen. Konkret wird dieser zumindest vorübergehende Gewaltrückgang vor allem dadurch begründet sein, dass jene Staaten, die in den letzten Jahren sich im globalen Kriegsgeschehen besonders involviert haben – beispielsweise Saudi-Arabien, Iran oder Russland – ihre militärischen Ambitionen im hohen Maße durch Öl- und Gasexporte finanziert haben. Hier sind die Preise aber erst mal im Keller.

Zweitens werden wir keinen beschleunigten Aufstieg Chinas zur führenden Weltmacht erleben – auch wenn das viele Analysten als das wichtigste Resultat der gegenwärtigen Corona-Krise erachten. China gewinnt weltweit immer mehr an Einfluss. Aber diese Entwicklung ist nicht neu und hat durch die COVID-19-Pandemie nicht nennenswert an Rasanz gewonnen. Egal ob in puncto Wirtschaftsleistung, militärische Stärke oder diplomatischen Einfluss – nüchtern betrachtet hat sich an der relativen Verteilung von Machtressourcen zwischen den USA und China in den vergangenen Monaten kaum etwas geändert. Zugegebenermaßen unter Trump gerieren sich die USA, die durch den Aufstieg Chinas besonders herausgefordert werden, in der derzeitigen Krise nicht als verantwortungsvolle Führungsmacht. Aber auch das ist nichts Neues. Neu hingegen ist der atmosphärische Eindruck, dass es China in den letzten Wochen geglückt ist, sich weltweit als durchsetzungsstarker Problemlöser darzustellen. Insbesondere mit Blick auf die ungeklärten Fragen zum Ausbruch der Pandemie und der Verbreitung des Virus in der Frühphase der Krise, ist es derzeit jedoch nicht ausgemacht, ob es Peking auf Dauer wirklich gelingen wird, dieses Image aufrechtzuerhalten.

Drittens werden wir ein (Wieder)Erstarken von Regionalkooperationen sehen. Ja, momentan erleben wir die Corona-Pandemie als eine Zeit die vorwiegend geprägt ist durch das Handeln einzelner Nationalstaaten. Das wird aber auf Dauer nicht so bleiben. Denn für die Bekämpfung der Krise und insbesondere ihrer schwerwiegenden sozio-ökonomischen Folgen ist der nationale Handlungsrahmen deutlich zu klein. Von ein paar notwendigen Arrangements im Bereich der Gesundheitspolitik einmal abgesehen, werden sich die Blicke auf der Suche nach einem geeigneten Format zur Entwicklung und Durchsetzung politischer Lösungen aber vermutlich nicht auf die globale Ebene richten. Vielmehr werden weltweit regionale Kooperationen an Bedeutung gewinnen – hier in Europa beispielsweise die viel gescholtene Europäische Union. Zum einen wird das Aufleben regionaler Zusammenarbeit damit zu tun haben, dass weltweite Mechanismen schon seit längerer Zeit erodieren und der Multilateralismus sich bereits seit einiger Zeit in der Krise befindet. Besonders augenscheinlich wurde das in den vergangenen Jahren durch die notorische Blockade des UN-Sicherheitsrats aufgrund anhaltender Vetopolitik. Das Ausscheiden der globalen Dimension als Lösungsrahmen unterscheidet die aktuelle Pandemie beispielsweise deutlich von der Situation der Finanzkrise von 2007-2008, bei der der Multilateralismus noch deutlich mehr Elan besaß. Zum anderen wird die regionale Zusammenarbeit an Bedeutung gewinnen, weil die derzeitige Hyper-Globalisierung mit ihren weltweiten just-in-time-Lieferketten durch die Corona-Krise an Relevanz verlieren wird. Die Verwundbarkeit dieses Modells wurde aktuell besonders deutlich. Auch hier gilt, dass die Pandemie Entwicklungen beschleunigt, die sich bereits seit längerer Zeit abgezeichnet haben. Denn auch schon vor der Krise war zu erkennen, dass Produktionsprozesse wieder verstärkt in westliche Länder zurückverlegt werden würden – ausgelöst beispielsweise durch steigende Lohnkosten in China und den vermehrten Einsatz von Robotik und Künstlicher Intelligenz in der heimischen Industrie. Bei der Neuausrichtung von transnationalen Lieferketten dürften daher regionale Kooperationen wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen.

Viertens erleben wir durch die Corona-Krise derzeit weltweit einen erheblich beschleunigten Digitalisierungsboom. Es gibt eine rasante Gewöhnung an neue Technologien auch bei Personenkreisen, die diesen Entwicklungen bis vor Kurzem eher kritisch bis ablehnend gegenüberstanden. Diese Entwicklung wird auch die internationalen Beziehungen beeinflussen. Der Cyberraum wird noch stärker als bisher ein Ort für den Wettstreit der großen Mächte werden.  Diese Entwicklung hat sich bereits im Konflikt um das G5 Netz abgezeichnet. Der technologische Vorsprung in den maßgeblichen und eng miteinander verwobenen digitalen Feldern wie Cyber, Robotik und Künstliche Intelligenz wird eine, wenn nicht sogar die zentrale Ressource im Ringen um globale Führungsansprüche werden. Da durch die COVID-19 Krise jetzt im hohen Tempo gesellschaftliche Bereiche durch-digitalisiert werden, dürften digitale Politik-Phänomene – von großflächigen social media Charme-Offensiven bis hin zu Cyberattacken – in der Zukunft unseren Alltag deutlich häufiger bestimmen als bisher.

Fünftens werden wir nach einer kurzen Flaute bald einen Wiederaufstieg des Populismus erleben. In den Debatten über die Auswirkung von COVID-19 ist häufig die Einschätzung anzutreffen, dass der Virus die Populisten entzaubere. Genährt wird diese Hoffnung durch die Tatsache, dass populistische Parteien in der Corona-Krise an Zuspruch verlieren. Deutlich wird diese Entwicklung beispielsweise mit Blick auf die sinkenden Umfragewerte der AfD. Zudem wird in diesem Zusammenhang häufig darauf verwiesen, dass die von Populisten beeinflussten Regierungen – ob in den USA, Großbritannien, Norditalien oder Brasilien – in der aktuellen Krise oft inkompetent und dilettantisch gehandelt haben. Die Verbreitung von sogenannten alternativen Wahrheiten ist nun mal keine geeignete Strategie im Kampf gegen Viren. Ferner ist jetzt die große Zeit der Expert*innen (vgl. https://www.loccum.de/blog/hoffnungs-expertinnen/) und der wissensbasierten Politikberatung – ein Metier, in dem Populisten besonders ungeübt sind. In der aktuellen Phase der Krise, bei der vor allem die gesundheitliche und medizinische Dimension im Vordergrund steht, wird der Hoffnung, dass der Populismus bald auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, folglich eine ganze Reihe von faktischen Anhaltspunkten geboten. In der kommenden zweiten Phase der Krise, die vor allem durch die wirtschaftlichen Folgen des Virus gekennzeichnet sein wird, dürfte sich diese Einschätzung aber nicht bewahrheiten. Es wäre nämlich sehr verwunderlich, wenn es den Populisten dieser Welt nicht gelingen würde, den sich dann bietenden optimalen Nährboden zu nutzen. Nach der jetzigen Flaute werden wir also ein Wiedererstarken der Populisten erleben. In diesem zweiten und vermutlich deutlich längeren Part der Krise wird es nicht mehr primär darum gehen, sich gegen einen neuartigen Erreger zu behaupten. Vielmehr werden die vielfältigen und sich gegenseitig überlappenden sozio-ökonomischen Verteilungskämpfe die Tagesordnung bestimmen. Den Problemen, denen wir dann gegenüberstehen, werden komplexen Kausalmechanismen unterliegen, die öffentlich schwerer zu vermitteln sein werden als die vergleichsweisen simplen viralen Ansteckungswege und Hygiene-Prozeduren – ideale Voraussetzungen für populistische Stimmungsmache.

Neben diesen fünf Thesen gibt es noch zahlreiche offene Fragen in der Entwicklung der zukünftigen Weltordnung, die aktuell derart im Fluss sind, dass sich keine klare Einschätzung formulieren lässt. Zum Beispiel ist derzeit nicht absehbar, wie die Erfahrung einer umfassenden globalen Krise, die hinsichtlich ihres Ausmaßes für viele aktuelle und zukünftige politische Entscheidungsträger neu und einzigartig ist, insgesamt die prinzipiellen Handlungslogiken des Politischen und grundsätzliche Weltsichten beeinflussen wird. Wird die gemeinsame Krisenerfahrung eher egoistisch-konfrontative oder vielmehr kooperative Verhaltensmuster fördern? Steigt die Risikobereitschaft von politischen Entscheidungsträgern oder ist eher das Gegenteil der Fall? Werden Werte, die derzeit scheinbar große Konjunktur haben, wie Sicherheit, Geborgenheit und Gesundheit auch in Zukunft handlungsleitend sein – beispielsweise für kommende politische Anstrengungen im Rahmen der Klimakrise – oder ist ihre Wirkungsmächtigkeit eher von flüchtiger Natur? Etc.?

In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.

Warum Biowaffen und Corona nichts miteinander zu tun haben – und dann doch irgendwie ganz viel.

Damit das von vorne herein klar ist: Das neuartige Coronavirus ist keine Biowaffe. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Natürlich sind das Netz und die Sozialen Medien voll von Behauptungen, die das Gegenteil glauben machen wollen. Aber das sind Auswüchse der derzeit grassierenden Flut an Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen.

Warum macht es dennoch Sinn, angesichts der Corona-Krise über Biowaffen nachzudenken? Zwischen Biowaffen und COVID-19 gibt es bei allen Unterschieden doch in puncto Auswirkung und mit Blick auf das Repertoire an Gegenmaßnahmen eine Reihe von Parallelen. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus den internationalen Bemühungen zur Prohibition von Biowaffen einige Anregungen ableiten, die eventuell zum wirkungsvolleren Management der derzeitigen Corona-Krise – und möglicher folgender Pandemien – beitragen können. Konkret würde dies die unabhängige Untersuchung von Krankheitsausbrüchen, internationale Kooperationen im Gesundheitssektor sowie verstärkte Vertrauensbildung und Transparenz im Bereich der biologischen Sicherheit betreffen.

Was sind Biowaffen?

Zuerst muss aber geklärt werden, was Biowaffen eigentlich sind und welche Rolle sie in der internationalen Sicherheitspolitik und Kriegsführung bisher gespielt haben?

Biologische Waffen sind krankheitserregende Mikroorganismen, Toxine und andere biologische Agenzien, die zu kriegerischen Zwecken verwendet werden. Milzbrand, Rizin, Pest, Pocken, Tularämie oder Botulinustoxin zählen beispielsweise zu den „Klassikern“ der biologischen Kriegsführung. In den Biowaffenprogrammen der Vergangenheit, die weltweit von einer Reihe von Staaten unterhalten wurden, durften diese hochpathogenen Erreger nicht fehlen. Diese waffenfähigen Viren, Bakterien und Toxine haben erhebliche Zerstörungskraft. Oft wird in diesem Zusammenhang eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongress zitiert. Darin wurde ermittelt, dass ein Angriff mit Milzbrand Sporen (auch Anthrax genannt) auf Washington D.C., mittels eines Flugzeugs mit spezieller Sprühvorrichtung zur Ausbringung des Erregers, vermutlich – je nach Witterungsverhältnissen – 1 bis 3 Million Todesopfer zur Folge haben würde. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Biowaffen – neben Chemie- und Atomwaffen – zu der klassischen Trias der Massenvernichtungswaffen zählen.

Insgesamt sollen 22 Staaten in der Vergangenheit über offensive Biowaffenprogramme verfügt haben. Die allermeisten wurden allerdings peu a peu eingestellt. Das Biowaffen-Übereinkommen aus dem Jahre 1972 leistete hierbei einen wichtigen Beitrag. Dieser Vertrag, dem mittlerweile 183 Staaten beigetreten sind, hat eine weltweite Verbotsnorm gegen Biowaffen etabliert. Heute soll nur noch Nordkorea über offensive Biowaffenfähigkeiten verfügen. Einige Stimmen weisen zwar darauf hin, dass nicht sicher sei, ob Ägypten, China, Israel, Russland und Syrien tatsächlich ihre ehemaligen Programme vollständig beendet haben. Aufgrund der hohen Geheimhaltung in diesem Bereich, lässt sich hierzu aber keine belastbare Aussage machen.

Bekannt ist aber, dass Terrorgruppen immer wieder großes Interesse an Biowaffen zeigen. Beispielsweise hat die japanische Aum-Sekte, die für den Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn im Jahre 1995 verantwortlich war, anfänglich intensiv mit Milzbrand experimentiert und den Plan verfolgt, diesen Erreger an verschiedenen Stellen in der japanischen Hauptstadt zu versprühen – ein Vorhaben, das zum Glück scheiterte. Auch islamistische Terrorgruppen haben immer wieder Versuche unternommen, Biowaffen zu erwerben und herzustellen – ebenfalls erfolglos.

Darum ist COVID-19 keine Biowaffe

Biologische Kampfstoffe unterscheiden sich voneinander anhand von drei zentralen Kriterien: erstens, ob sie flächig über ein großes Terrain wirken, zweitens, ob es einen Impfstoff gegen sie gibt und, drittens, ob sie von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Jede bekannte Biowaffe verneint zumindest eines dieser Kriterien. Genau darin besteht der entscheidende Unterschied zum Coronavirus, das bekanntermaßen alle drei genannten Merkmale erfüllt (großflächige Wirkung, kein Impfstoff, von Mensch zu Mensch übertragbar), somit für eine militärische Anwendung gänzlich ungeeignet ist und als Biowaffe nicht infrage kommt. Schließlich wären beim Einsatz einer solchen fiktiven Corona-Biowaffe aufgrund der offensichtlichen Gefahr der Selbstansteckung, der schwer kontrollierbaren Ausbreitungswege und des fehlenden Impfstoffs die eigenen Truppen bzw. die eigene Bevölkerung im hohen Maße gefährdet. Kein Militär der Welt und nicht mal die radikalsten Terrorgruppen wären an einer solchen Waffe interessiert.

Trotz aller Unterschiede: Es gibt Parallelen und Gemeinsamkeiten

Dennoch gibt es – trotz aller Unterschiede – in puncto der Auswirkungen und mit Blick auf das Repertoire an Gegenmaßnahmen eine Reihe von Parallelen zwischen COVID-19 und Biowaffen. In beiden Fällen haben wir biologische Erreger mit erheblicher Zerstörungskraft. Auch wenn es Risikogruppen gibt, so gefährden biologische Waffen wie auch das Coronavirus Menschenleben unterschiedslos. Das Virus und Biowaffen verwandeln menschliche Nähe von einem Areal der Geborgenheit zu einer Gefahrenzone. Jenseits der konkreten unmittelbaren Wirkung im Falle einer Infizierung verbreitet COVID-19 wie auch Biowaffen breitflächig Furcht und Bedrohungsängste und wirkt in diesem Sinne terrorisierend auf Gesellschaften. Ferner sind es vor allem Krankenhäuser, Labore, zivile Ersthelfer, und Biowissenschaftler*innen, die in der vordersten Verteidigungslinie stehen – sowohl bei Corona als auch bei Biowaffen.

Vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeiten bieten die weltweiten Bemühungen zum Verbot von Biowaffen mindestens drei Lehren, die für das derzeitige Management der Corona-Krise interessant sein könnten.

Der Mechanismus des UN-Generalsekretärs auch für COVID-19?

Der Vorwurf eines Biowaffeneinsatzes ist schwer aufzuklären. Schließlich ähneln biologische Waffen – wie wir eben gesehen haben – im hohen Maße natürlichen Krankheitsausbrüchen. Zudem sind solche Vorfälle stets ein großes Politikum und die jeweiligen verdächtigten Staaten haben häufig ein großes Interesse, Aufklärung und Transparenz zu verhindern.

Im Fall der Corona-Krise sehen wir vergleichbare Entwicklungen in der Debatte um die Untersuchung des Ausbruchs des Virus im chinesischen Wuhan. Washington und Peking überschütten sich derzeit mit Vorwürfen und es ist fraglich, ob die an sich sehr wichtige Aufklärung der genauen Abläufe in der Frühphase der Pandemie, die vermutlich weiteren Aufschluss über das neuartige Virus liefern könnten, sich vor diesem Hintergrund tatsächlich realisieren lassen.

Angesichts derartiger und vergleichbarer Schwierigkeiten wurde im Bereich der Biowaffen (und ebenfalls der Chemiewaffen) in den 1980er Jahren der sogenannte UN Secretary-General’s Mechanism eingeführt. Dieser erlaubt es dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, eine unabhängige internationale Untersuchung einzuleiten, wenn ein Verdachtsfall eines Biowaffeneinsatzes durch ein UN-Mitgliedstaat gemeldet wird.  Dieser Mechanismus wurde in der Vergangenheit in eine Reihe von Fällen aktiviert. Zuletzt 2013 in Syrien – auch wenn dort Chemiewaffen und nicht biologische Kampfmittel im Vordergrund standen.

Der UN-Generalsekretärsmechanismus basiert dabei auf etablierten Regularien und eingespielten Verfahren. So gibt es beispielsweise eine stetig aktualisierte Liste an weltweit verfügbaren Expert*innen (der sog. „roster“), die im Ernstfall schnell aktiviert und in den Einsatz geschickt werden können. Speziell zertifizierte Labore, die Proben nach festen Standards untersuchen und internationale Transparenz herstellen, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Ferner fanden – gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Syrien – weltweit verschiedene Trainings statt, die die Leistungsfähigkeit dieses Mechanismus in den letzten Jahren weiter gestärkt haben.

Aufgrund der Parallelen zwischen Biowaffen und dem neuartigen Coronavirus sowie den politischen Blockaden, die mit Blick auf eine Untersuchung der Vorgänge in Wuhan in den letzten Wochen immer deutlicher geworden sind, erscheint es sinnvoll, darüber nachzudenken, ob der UN-Generalsekretärsmechanismus  auf die Aufklärung von Epidemien ausgeweitet werden könnte. Die Entscheidung dazu muss dabei nicht unbedingt vom UN-Sicherheitsrat getroffen werden. Der ursprüngliche Mechanismus geht ebenfalls auf einen Entschluss der UN-Vollversammlung zurück – da in den 1980er Jahren der UN-Sicherheitsrat ähnlich blockiert war, wie heute.

Neben den eingespielten Abläufen, die der Mechanismus mitbringt, hätte er auch einen klaren politischen Mehrwert. Denn wenn sich Großmächte wie die USA und China derart uneinig sind, gibt es weltweit kaum Akteure, die ausreichend Gewicht und die notwendige Überparteilichkeit mitbringen, um zu schlichten und mit der notwendigen Nüchternheit für Aufklärung und Transparenz sorgen können. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen wäre vermutlich die Person, die hierfür am ehesten infrage kommen würde – auch wenn diese Aufgabe alles andere als leicht zu schultern wäre.

Das Biowaffenregime als ein Nukleus für eine neue multilaterale Gesundheitspolitik?

Eine zweite Anregung, die sich aus dem weltweiten Verbotsanstrengungen zu Biowaffen für den Umgang mit den Auswirkungen von COVID-19 ableiten lässt, bezieht sich auf internationale Kooperationen zur Eindämmung und Verhinderung von biologischen Gefahren. Neben der Prohibition von biologischen Kampfstoffen kennt das Biowaffen-Übereinkommen auch Normen zur friedlichen Zusammenarbeit in puncto Gesundheitsschutz, Laborsicherheit und biologischer Forschung vor allem zu hochpathogenen Krankheitserregern. Seit 2013 hat das deutsche Biosicherheitsprogramm in diesem Rahmen beispielsweise knapp 50 Millionen Euro in Zusammenarbeit mit Partnerländern vor allem in Afrika, dem Nahen Osten und Zentralasien investiert. Das Robert-Koch-Institut, das derzeit in aller Munde ist, spielte dabei eine zentrale Rolle. Eine ganze Reihe weiterer Staaten unterhalten ähnliche Kooperationen.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die weltweite Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich dringend verbessert werden muss. Es bedarf intensivere Abstimmung über Pandemiemaßnahmen, Schutzkonzepte und Forschungsergebnisse – insbesondere, wenn es um derart zentrale Aspekte wie die Entwicklung von Impfstoffen geht. Die Erfahrungen, die mit internationalen Kooperationen im Rahmen des Biowaffen-Übereinkommens vor allem mit Blick auf hochpathogene Erreger gemacht wurden, können in dem nun beginnenden Suchprozess nach einer geeigneten multilateralen Gesundheitsordnung einen wichtigen Impuls geben und für neu zu etablierende internationale Foren eine Art Nukleus bilden.

Stärkeres Biowaffen-Übereinkommen = Besseres Corona-Management

Drittens kann aber auch eine Verbesserung des Biowaffen-Übereinkommens selbst einen Beitrag zum besseren Management der Corona-Krise leisten – und aller weiteren Pandemien, die in der Zukunft eventuell noch kommen könnten. Die Behauptung beim neuartigen Coronavirus handele es sich in Wirklichkeit um eine Biowaffe wurde nämlich nicht nur in der Verschwörungstheorie-Szene ventiliert. Auch Vertreter*innen aus Regierungskreisen in den USA, China, Russland und Iran warfen sich derartige Argumente an den Kopf – vor allem in der Frühphase der Krise. Dass eine derartige Instrumentalisierung der Pandemie überhaupt möglich war, ist auch in der Schwäche des Biowaffen-Übereinkommens begründet und könnte durch eine Stärkung dieses Vertragswerks in der Zukunft behoben werden.

Auch wenn dieses Übereinkommen relativ viele Mitgliedsstaaten hat und offensive Biowaffenprogrammen weltweit fast vollkommen eingestellt wurde, lässt die Leistungsfähigkeit dieses Vertragswerk doch ziemlich zu wünschen übrig. So gibt es beispielsweise kein systematisches Monitoring, ob die vertraglichen Verpflichtungen von den Mitgliedsstaaten überhaupt eingehalten werden. Ein ernst zu nehmendes Verifizierungssystem fehlt im Biowaffen-Übereinkommen. Zudem gibt es keine Vertragsorganisation, die unabhängige Expertise in diesem Politikfeld einbringen und als Anwalt der Verbotsnormen agieren könnte – anders als das beispielsweise mit der IAEO und der OPCW bei den internationalen Verträgen zu Atom- und Chemiewaffen der Fall ist.

Würde das Biowaffen-Übereinkommen gestärkt, wäre das Niveau der Transparenz und des wechselseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten ein deutlich anderes als es heute der Fall ist. Einer Instrumentalisierung von Krankheitsausbrüchen würde somit ein Riegel vorgeschoben. Der Gefahr einer übermäßigen Politisierung von Pandemien – wie wir sie derzeit zwischen den USA und China massiv erleben – würden zumindest gewisse Grenzen gesetzt.

Eine Stärkung des Biowaffen-Übereinkommens schien lange Zeit hoffnungslos. Die Gräben zwischen den verschiedenen Parteien war tief und die zahlreichen internationalen Konferenzen, die in den vergangenen Jahren im Genfer UN-Gebäude dazu abgehalten wurden, brachten keine nennenswerten Fortschritte. 2021 findet das nächste große Staatentreffen im Rahmen des Biowaffen-Übereinkommens statt. Es gilt zu hoffen, dass die globalen Erfahrungen der Corona-Krise weltweit die Perspektiven auf biologische Gefahren ändert und somit diplomatischer Spielraum für Reformen möglich wird. Dann könnte das Biowaffen-Übereinkommen nicht nur Impulse für einen wirkungsvolleren Umgang mit COVID-19 liefern, sondern auch umgekehrt.

In unserem Corona Blog schildern Studienleiter*innen der Akademie und der Akademie als Referent*innen verbundene Persönlichkeiten ihre Wahrnehmungen zur Coronakrise. Aus den verschiedenen interdisziplinären Arbeitsbereichen entsteht damit eine multiperspektivische Sicht, die in der Krise Orientierung bieten kann. Gleichzeitig wird deutlich, wie die Akademie ihre Arbeit auf diese Ausnahmesituation anpasst.