Am Rande der Tagung interviewte der Journalist Urs Mundt vom Evangelischen Pressedienst (epd) Patrick SENSBURG, Professor für öffentliches Recht und Europarecht, Oberst d. R. und Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. Berlin. Den daraus hervorgegangenen Bericht und das Interview können Sie hier lesen:
Präsident der Reservisten: Deutschland ist mental gut gerüstet
Loccum/Kr. Nienburg (epd). Nach Ansicht des Präsidenten des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg (CDU), ist Deutschland für den Verteidigungsfall zumindest mental gut gerüstet. „Ich glaube, dass sich auch in den Fragen der militärischen Fähigkeit die Demokratie, die Freiheit durchsetzen wird“, sagte der Jurist am Rande einer Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum zum Thema „Verteidigungspolitik“ dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für die meisten Bürgerinnen und Bürger liege auf der Hand, dass das Leben hierzulande es wert sei, beschützt zu werden. „Daher glaube ich, dass wir immer verteidigungsbereiter sein werden als gewaltorientierte Gesellschaften wie in Russland.“
In der russischen Gesellschaft stehe zwar der wehrhafte und starke Mann im Vordergrund, sagte Sensburg weiter. Dennoch tue sich Russland schwer damit, seine Soldaten intrinsisch zu motivieren. „Man versucht, ihnen einen ideologischen Überbau zu geben, indem man vom großen vaterländischen Krieg spricht.“ Doch sei dies Soldaten aus Tschetschenien oder anderen Volksgruppen schwer zu vermitteln. „Viel motivierter als Aggressoren sind immer die, die alles verteidigen, ihre Familie, das Haus, die Freiheit, die Zukunft der Kinder, mit einem Wort: die eigene Heimat.“
Mit scharfen Worten kritisierte Sensburg Vertreter der Friedensbewegung, die Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine zum Irrweg erklären. „Putin will nicht nur die Ukraine mit Krieg überziehen“, warnte er. Daher müsse Deutschland massiv in seine Sicherheit investieren. Zwar gelte es, Krieg mit allen Mitteln zu verhindern und die Tür für Diplomatie stets offen zu halten. „Aber wenn sich die Ukrainer jetzt ergeben, wird dort ein Genozid stattfinden. Das hat Putin angekündigt.“
Um gerüstet zu sein, müsse auch der Heimatschutz gestärkt werden, betonte Sensburg. Ein guter Anfang sei gemacht mit den Heimatschutzregimentern der Reservisten in Bayern, NRW und Niedersachsen. Drei weitere sollen folgen. „Aber sechs Regimenter mit jeweils tausend Reservisten reichen nicht, wenn man Deutschland im eigenen Land verteidigen will und die aktive Truppe an der Nato-Ostflanke ist.“ Auch fehle es an Ausrüstung. Um auch personell verteidigungsfähig zu sein, brauche es außerdem die Wehrpflicht.
epd-Gespräch: Urs Mundt
Präsident der Reservisten: Wir müssen den Heimatschutz stärken
Loccum/Kr. Nienburg (epd). Um „Verteidigungspolitik auf neuen Wegen“ ging es Ende Mai bei einer Tagung in der Evangelischen Akademie im niedersächsischen Loccum. Zu Gast war auch der Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, Patrick Sensburg. Der Jura-Professor und langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete (2009-2021) ist überzeugt, dass die Personalstärke der Bundeswehr wachsen muss. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt Sensburg, warum er Deutschland zumindest mental für gut gerüstet hält.
epd: Herr Professor Sensburg, eine Aufgabe der Bundeswehr ist es, im Kriegsfall die Bevölkerung auch im Inland zu schützen. Wie steht es um den Heimatschutz?
Patrick Sensburg: Ein guter Anfang ist gemacht mit den Heimatschutzregimentern in Bayern, NRW und Niedersachsen. Drei weitere sollen folgen. Aber sechs Regimenter mit jeweils tausend Reservisten reichen nicht, wenn man Deutschland im eigenen Land verteidigen will und die aktive Truppe an der Nato-Ostflanke ist. Auch fehlen uns Waffen, Fahrzeuge und Ausrüstung. Unsere Forderung, dass zusätzlich ein Prozent des Sondervermögens in die Reserve investiert wird, wurde bisher leider nicht erfüllt. Um auch personell verteidigungsfähig zu sein, brauchen wir darüber hinaus auch die Wehrpflicht.
epd: Wie konkret ist aus Ihrer Sicht die Bedrohung im Osten?
Sensburg: In der vergangenen Woche haben wir gehört, dass Russland plant, maritime Grenzen in der Ostsee zu verschieben. Nach meiner Einschätzung ist es nicht in Putins Sinn, mit der Ukraine aufzuhören. Wir sehen auch, was in Georgien derzeit passiert. Die Situation ist brenzlig. Deswegen müssen wir dringend in unsere Sicherheit investieren. Dafür brauchen wir nicht nur eine kontinuierliche finanzielle Ausstattung, sondern auch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger.
epd: Namhafte Vertreter der Friedensbewegung, zum Beispiel Margot Käßmann, halten die Aufrüstung für einen Irrweg. Was entgegnen Sie?
Sensburg: Ich bin selbst katholisch. Deshalb freue ich mich, wenn aus der Kirche dieser ganz zentrale und kräftige Wunsch nach Frieden kommt. Wer wissen will, wie schlimm Krieg ist, muss nur in die Ukraine gucken. Dort sind fast 150.000 Ukrainer gefallen oder so schwer verwundet, dass sie im Leben nicht mehr froh werden. Eine vermutlich höhere Anzahl an Russen ist in diesem Krieg geopfert worden. Krieg müssen wir mit allen Mitteln vermeiden. Eine friedliche zivile Gesellschaft, das ist das Ziel, nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa und darüber hinaus. Nur bei den Wegen dahin sind wir uns uneins.
Ich finde es erschreckend, wenn Frau Käßmann vor dem Hintergrund des menschenverachtenden Angriffskrieges Russlands blauäugig sagt „Wir wollen Frieden“ und dazu auffordert, die Ukraine nicht zu unterstützen. Russland ist unstreitig der Aggressor und Putin will nicht nur die Ukraine mit Krieg überziehen. Weder die Ukraine noch ein anderes europäisches Land hatten das Ansinnen, in Russland einzumarschieren.
Von wem die Gewalt ausgeht, ist daher eindeutig und Russland versteht leider nur die Sprache der Macht. Aber ich lasse mich gern überzeugen: Wenn Margot Käßmann Putin überredet, morgen das Militär aus der Ukraine abzuziehen, dann sage ich: Wir brauchen kein Militär mehr, wir haben Frau Käßmann. Bisher hat sie aber anscheinend nur mit Sahra Wagenknecht geredet.
epd: Bräuchte es nicht mehr Diplomatie, um die Gewaltspirale zu durchbrechen?
Sensburg: Ich bin ein großer Freund von Diplomatie. Deutschland müsste hier in der Welt noch viel aktiver sein, wenn wir zum Beispiel derzeit die Schwächen der UN sehen. Die Tür darf nie zu sein, denn Krieg ist immer die schlechteste Option. Aber wenn sich die Ukrainer jetzt ergeben, wird dort ein Genozid stattfinden. Das hat Putin angekündigt. Wolodymyr Selenskyj und alle ukrainischen Politiker werden doch wie Alexei Nawalny nicht mehr lange leben, sie werden als erste umkommen.
epd: Jesus sagt, dass man dem Bösen nicht widerstehen, sondern die andere Wange hinhalten soll. Kann man als Christ Soldat sein oder Verteidigungskriege befürworten?
Sensburg: Ich bin kein Theologe, sondern Jurist, das möchte ich vorausschicken. Natürlich dürfen sich Menschen verteidigen, und ich darf auch jemandem beispringen, etwa wenn jemand in der U-Bahn überfallen wird. Wenn es dann heißt, der Angegriffene solle seine zweite Wange hinhalten, und ich mache nichts, dann käme ich tatsächlich in Konflikt mit meinem christlichen Glauben.
Natürlich hätte ich gern, dass niemand in der U-Bahn zusammengeschlagen wird. Aber anscheinend gibt es Leute, die diese Friedfertigkeit noch nicht in ihr Leben gelassen haben. Und deswegen, glaube ich, braucht es den Polizisten, der dann den Aggressor in Schranken weist. Im Übrigen haben wir in der katholischen Kirche sehr viele Heilige, die Soldaten waren, zum Beispiel der heilige Georg oder Sankt Martin. Ich glaube, für den äußeren Frieden braucht es leider immer noch Soldaten.
epd: Werden in der Ukraine unsere Werte verteidigt?
Sensburg: Die Bedrohung, die von Russland ausgeht, betrifft auch Länder, die sich zum Beispiel im Vertrag von Lissabon zu europäischen Werten bekannt haben. Insofern würde ich sagen: Ja, in der Ukraine werden auch unsere Werte verteidigt. Dabei geht es auch um christliche Werte, die Werte eines Europas mit den gleichen christlichen Wurzeln.
Juristen neigen oft dazu, die Vielfalt der Wurzeln zu betonen, indem sie auf jüdische und arabische Einflüsse sowie die Aufklärung hinweisen. Dem halte ich entgegen, dass Europa mehr als 1.500 Jahre lang vom Christentum geprägt wurde. Nicht umsonst wurde die christlichen Wurzeln in den europäischen Verträgen festgeschrieben – auch wenn natürlich viele weitere Einflüsse unsere freiheitich-demokratischen Gesellschaften geprägt haben. Es sind auch diese Werte und diese Freiheit, die wir verteidigen müssen, nicht nur das territoriale Europa.
epd: Die Kultur des Militarismus gehört in Deutschland der Vergangenheit an. Sind die Menschen in Deutschland auch mental verteidigungsbereit?
Sensburg: Ich hoffe sehr, dass wir diese Kultur ein für alle Mal abgelegt haben. Ich glaube, dass sich auch in den Fragen der militärischen Fähigkeit die Demokratie, die Freiheit durchsetzen wird. Für die meisten Menschen liegt doch auf der Hand, dass das Leben in Deutschland es wert ist, verteidigt zu werden. Daher glaube ich, dass wir immer verteidigungsbereiter sein werden als gewaltorientierte Gesellschaften wie in Russland. Dort steht der wehrhafte und starke Mann im Vordergrund. Aber das macht Russland nicht stärker.
Russland hat es schwer, seine Soldaten intrinsisch zu motivieren. Man versucht, ihnen einen ideologischen Überbau zu geben, indem man vom großen vaterländischen Krieg spricht. Den Soldaten aus Tschetschenien oder anderen Volksgruppen ist das schwer zu vermitteln. Und Verbrecher, denen Haftverschonung versprochen wird, sehen den Dienst an der Front in einem fremden Land nur als ihre Chance, aus dem Gefängnis zu kommen. Viel motivierter als Aggressoren sind immer die, die alles verteidigen, ihre Familie, das Haus, die Freiheit, die Zukunft der Kinder, mit einem Wort: die eigene Heimat. Man darf sie nur nicht ohne Verteidigungsmittel dastehen lassen.
epd: Ist das Bewusstsein für das Eigene hierzulande ausgeprägt genug?
Sensburg: Was die Verteidigung des Eigenen angeht, hat Deutschland schon eine Tradition. Denken Sie an die vielen Schützenvereine in unserem Land, die Bürgervereine, die Bürgerwehren, an die Kultur der freiwilligen Feuerwehr. In unserer durch die deutsche Kleinstaaterei geprägten Geschichte hatten wir über Jahrhunderte in jeder Generation Kriege. Auch daher kommt das Gefühl, beschützen zu müssen, und der tief verwurzelte Wunsch, dass nicht in jeder Generation wieder alles zerstört wird. Krieg gilt es mit aller Kraft zu verhindern, denn wer genau in die Ukraine blickt, sieht, wie elendig Krieg ist.
epd-Gespräch: Urs Mundt